1.4. Post, Gender, Internet? (Leonie Maria Tanczer)

Wenn Post-Gender zur Utopie und das Netz zum Spiegel herrschender Geschlechterordnung wird

1. Das Internet ist nicht Post-Gender
2. Off- und Online-Sexismus
3. Das böse „F“-Wort
4. Stereotype 2.0
5. Männliche Netzwerke im Netzwerk Internet
6. Das Internet kann nicht zaubern, aber wir können etwas tun!
Online-Empfehlungen zum Weiterlesen

 

1. Das Internet ist nicht Post-Gender

Vielerorts lag die Hoffnung darin, heterosexuelle und geschlechtsspezifische Charakteristika durch die Anonymität des Netzes zu überwinden. Die Möglichkeiten die das Internet eröffnet, galten als „empowering“, sprich stärkend und ermächtigend[1] und es wurde als Raum der Gleichberechtigung dargestellt[2]. Es wurde erwartet, dass gesellschaftliche Dynamiken unserer Welt damit obsolet werden. „Post-Gender” ist der Begriff, der dieses geschlechtslose Ideal abbilden sollte. Sein Ursprung findet sich in der dekonstruktivistischen Arbeit von Donna Haraway[3]. Zentral ist dabei die Idee, dass Technologie eine neue Ontologie und damit ein neues Sein schafft.

Diesem Anspruch ist das Internet bis dato aber nicht gerecht geworden. Es ist nicht die ersehnte Utopie des geschlechtsfreien Raums. Das Internet, die IT-Branche und Technik sind stark männlich konnotiert. Diesem Umstand tragen die folgenden drei Postulate Rechnung:

Sexismus und sexistische Mechanismen finden sich auch in der Onlinewelt. Dies stellt eine neue Herausforderung für den Kampf um Gleichberechtigung und Gleichbehandlung dar.

Gesellschaftliche und damit geschlechtliche Stereotype sind auch im Internet vorhanden. Geschlechtliche Stereotype finden sich auch im Internet wieder, was der Utopie Post-Gender widerspricht.

Männliche Netzwerke und Strukturen lassen sich auf das Internet übertragen. Damit ist unter anderem gemeint, dass Frauen im Internet, aber auch in der IT-Branche marginalisiert und unterrepräsentiert sind.

2. Off- und Online-Sexismus

Sexismus kann als eine Befürwortung von benachteiligenden Vorurteilen auf Basis von Geschlecht verstanden werden[4]. Sexismus produziert damit Ausgrenzungen und Dynamiken, die die Möglichkeiten von Frauen einschränken und behindern.[5] Dies lässt sich auch auf die Onlinewelt übertragen.

Aktuelle Literatur[6] definiert sexistische Online-Attacken gegen Frauen u.a. anhand von Begriffen wie cyber stalking, cyber harrassment und cyber bullying. Online-Sexismus ist ein weitverbreitetes Problem. Der eigentliche Umfang ist aber nur schwer abschätzbar. Eine Studie[7] geht davon aus, dass circa 40 Prozent der weiblichen Internetnutzerinnen Erfahrungen mit Online-Sexismus haben. Allerdings ist die Dunkelziffer höchstwahrscheinlich deutlich höher, da die meisten Vorfälle unangezeigt bleiben[8].

Als sexistische Angriffe können Aufrufe zu Gewalt an Frauen, die Veröffentlichung von retuschierten Bildern, die Veröffentlichung ihrer Wohnadressen sowie die Androhung von Vergewaltigung oder technische Eingriffe wie etwa die Abschaltung und Veränderung von Blogs und Webseiten von Frauen gezählt werden.

Obwohl es schon in vielen Ländern rechtliche Maßnahmen in Hinblick auf die Onlinewelt gibt, scheint es vielerorts schwer, mit diesen Online-Sexismen umzugehen[9].

3. Das böse „F“-Wort

Neben Angriffen auf individuelle Frauen, scheinen gerade Feministinnen und feministische Organisationen von diesen Feindseligkeiten betroffen. Dies hat auch damit zu tun, dass Feminismus zu einem negativ behafteten Begriff geworden und ein Erstarken der maskulinistischen Bewegung online erkennbar ist[10]. Die Auffassung von Feminismus basiert innerhalb dieser Bewegung auf der verfälschten Annahme, dass Frauen Männer diskriminieren würden und Männer somit übervorteilt wären. Jegliche emanzipatorische Versuche zur Förderung von Frauen werden innerhalb dieser Bewegung als „feministisch“ und damit als „unfair“ oder sogar als „sexistisch“ gegenüber Männern abgetan.[11]

Aufbauend auf dieser Annahme ist das böse „F“-Wort und alle mit ihm verbundenen Aspekte und progressiven Versuche, Frauen in der patriarchalen Offline- und Onlinewelt zu unterstützen, häufig Ziel von Online-Offensiven.

So wurde zum Beispiel im Juli 2012 die Seite Feminism.org von Teilen (der als als Wiege der „Anonymous“-Bewegung geltenden) 4Chan Community gehackt, um frauenfeindliche Witze und Statements wie etwa „men are superior get over it!“ zu veröffentlichen[12].

2011 wurde die Homepage des Women’s Media Center gehackt und mit sexistischen Postings überhäuft[13]. Die Organisation bestritt zu der Zeit eine Kampagne gegen Facebook, da die Plattform nicht gegen Gruppen und Seiten vorgehen wollte, die sexuelle Gewalt gegen Frauen verharmlosen.

Die Feministin und Gamerin Anita Sarkeesian und ihre Kickstarter-Kampagne für das Video-Projekt Tropes vs. Women[14] wurden ebenfalls Ziel eines sexistischen „Shitstorms“. Ihre Kritik an der Darstellung von Frauen in Videospielen und an ihrer Unterrepräsentation als Gamerinnen war der männlichen Community im Netz ein Dorn im Auge. Der Wikipedia-Eintrag von Sarkeesian wurde mit Fehlinformationen überhäuft, persönliche Attacken und Drohungen waren in ihrem Email-Account, aber auch öffentlich auf unterschiedlichsten Seiten und Boards zu finden[15].

Der Versuch, Veränderungen und Verbesserungen für Frauen im Netz zu schaffen, hat Rügen und Anfeindungen zur Folge. Nachdem der Gender Gap bei den AutorInnen der deutschen Wikipedia[16], aber auch das Fehlen von speziellen feministischen Artikeln und die zum Teil voreingenommene Präsentation von gewissen Themen von einigen AutorInnen kritisiert wurde, fanden sich diese plötzlich sexistischen Angriffen ausgeliefert[17]. Eine „Relevanzdiskussion“ um (vor allem feministische) Themen begann.

Dies sind nur einige Beispiele, die das Bestehen von Online-Sexismus belegen. Die sexuellen Belästigungen von Gamerinnen bei Onlinespielen, die sexistischen Anmerkungen im Source-Code des Linux-Kernels (inzwischen entfernt) oder die Angriffe auf weibliche Bloggerinnen wie etwa Kathy Sierra[18] sind weitere Exempel.

Vielerorts entscheiden sich Bloggerinnen sogar dazu, ihren öffentlichen Auftritt im Internet ruhend zu stellen, nachdem der Schwall an polemischen und hasserfüllten Kommentaren im eigenen E-Mail-Account unerträglich geworden ist. Eine Studie der University of Maryland im Jahre 2005 bestätigt diesen Mechanismus. Die ForscherInnen zeigten, dass Frauen nach bedrohlichen Kommentaren z.B. in Online-Chatrooms dazu tendieren, dieses Medium nicht länger zu verwenden. Ein Einbruch von 28 zu 17 Prozent an weiblichen Nutzerinnen war dabei in der Studie erkennbar.[19]

Vorfälle und Zahlen wie diese deuten daraufhin, dass Frauen damit entmutigt werden, ihre Interessen online umzusetzen und zu verwirklichen (Citron, 2009b). Dies schließt sie von einem neuartigen Bestandteil unserer Realität aus und zeigt wie sexistische Mechanismen auch online Ausführung finden.

4. Stereotype 2.0

Ein Test: Hacker, Nerd, IT-Spezialist, Programmierer, Spieleentwickler, Web-Developer, Gamer, Internetnutzer. Welche Bilder haben wir bei diesen Begriffen im Kopf – und wie sehen die von uns vergegenwärtigten Menschen aus?

Sind sie weiß? Tragen Sie Brillen? Und: Sind sie männlich?

 

Technologie geht vorwiegend mit Bildern von Maskulinität und Macht einher[20]. So hält sich beispielsweise die Vorstellung, Männer wären das technisch und mathematisch begabtere Geschlecht[21]. Die feministische Kritik des Aktiv-Passiv-Dualismus wird hier evident.[22] Frauen äußern sich in Umfragen deutlich zurückhaltender gegenüber Technologie. In vielen Studien punkten sie auch wesentlich höher auf der Computer Anxiety Rating Scale, welche einen Fragebogen darstellt der Computerangst misst[23]. Selbst die feministische Theorie schien lange Zeit Technologie kritisch gegenüber zu stehen. Entweder wurde Technologie als ein männliches Verlangen nach Kontrolle identifiziert[24] oder als getrennt von Natur und damit als problematisch betrachtet[25]. Erst mit der Idee des Cyberfeminismus in den 90er Jahren wurde begonnen, eine andere, positivere Haltung zu Technik einzunehmen[26].

Das Internet und die IT-Branche sind stark männlich dominiert. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Gerade der „Stereotype threat“ ist für Frauen dabei vermehrt ein Problem. Stereotype werden internalisiert und haben Einfluss auf das Verhalten von Frauen die diese weiter perpetuieren[27].

Gruber[28] untersuchte, dass Frauen vermehrt Sexismen in stark männlich-dominierten Umgebungen ausgeliefert sind. Ähnliche Ergebnisse zeigen, dass Frauen verglichen zu ihren männlichen KlassenkollegInnen häufiger in Computerkursen in Schulen gemobbt werden[29]. Vergleichbare Muster wurden in einer Studie von Cohoon, Wu und Chao entdeckt[30]. Das ForscherInnenteam konnte zeigen, dass Frauen in Informatik-PhD-Programmen 21 Mal häufiger wegen sexistischen Vorfällen ihre Forschungsstelle verlassen, als dies Frauen u.a. wegen schlechter akademischer Leistung tun.

Tatsachen wie diese führen dazu, dass Männer tendenziell aktive Gestalter und Frauen passive Nutzerinnen der Technologie und des Internets bleiben. So sind z.B. GameentwicklerInnen primär Männer[31] und auch in der Open Source Software Erstellung nehmen Männer eine Monopolstellung ein[32]. Dieses Ungleichverhältnis von männlichen FramerInnen vs. weiblichen UserInnen ist deshalb möglich, da Männer die technischen Skills erlangen können, zu denen Frauen aus unterschiedlichen Gründen, wie etwa den Sexismen während der Ausbildung, weniger selbstverständlich Zugang finden. Technologie ist damit wortwörtlich man-made.

Betrachtet mensch direkt die Stereotype, die online anzutreffen sind, so sticht die klischeehafte Avatar-basierte Welt in Online- oder Videospielen ins Auge[33]. Dies ist abermals kein Indiz für ein vermeintlich geschlechtsloses Internet.

Auch die Gender Bending Möglichkeit, die durch das Internet gegeben sei[34] lässt sich selten finden. Zwar gibt es Studien, die auf Gender Performativität im Sinne Butlers hinweisen, wie etwa jene von Kelly, Pomerantz und Currie[35], jedoch werden diese Ergebnisse durch Studien rund um computer mediated communication (CMC) infrage gestellt.

Kucukyilmaz et al.[36] wiesen nach, dass unter 100 AutorInnen die geschlechtliche Identifizierung mit 99,7 Prozent Treffsicherheit ermöglicht ist. Ähnliche Ergebnisse finden sich quer durch das Forschungsfeld[37]. Douglass[38] folgert daher, dass in einem vermeintlich unidentifizierbaren Kontext und gerade in Fragen der Kommunikation das a/s/l – gemeint ist Age, Sex und Location – der UserInnen erfragt wird. Geschlechtslosigkeit im Internet ist in dieser Hinsicht pure Fiktion.

Weiters finden sich Stereotype in Online-Werbungen wieder. Frauen werden passiv und in traditionellen Rollen dargestellt[39]. Laut einer deutschen BITKOM-Studie[40] wird auch ersichtlich, dass die Verwendung des Mediums und damit auch Dynamiken, die im Internet gegeben sind, auf Stereotypen aufbauen:

Männer nehmen die öffentliche Rolle im Internet ein, posten auf Bulletin Boards oder in Foren, während Frauen eher in geschlossenen sozialen Netzwerken aktiv sind und private Kommunikation bevorzugen. Ebenso konnten Helsper[41] und Joiner et al.[42] in ihren Studien nachweisen, dass Geschlechterunterschiede in Hinblick auf die Internetnutzung eine Reflexion der Geschlechterunterschiede in unserer Gesellschaft sind. Stereotype, denen wir in unserer physischen Welt tagtäglich begegnen, ziehen sich somit bis in die digitale Welt hinein.

5. Männliche Netzwerke im Netzwerk Internet

Männliche Netzwerke und Männerbünde, wie sie u.a von feministischen ForscherInnen schon in Staatsstrukturen analysiert wurden[43], finden sich auch im Internet wieder. Was Burschenschaften, Männerrunden und Stammtische offline darstellen, ist im Netz z.B. das heitere Geplänkel, fleißige Retweeten und Favorisieren auf Twitter. Diese Schulterklopf-Mentalität konnten Ausserhofer et al.[44] durch ihre Twitterstudie nachweisen. In der „Online-Welt“ sind also die selben Mechanismen am Werk, wie in der „Offline-Welt“. Frauennetzwerke gibt offline wie online nur wenige.

Eine Studie von Aral und Walker[45] untermauert diese Ergebnisse der „Online-Old-Boy Networks” weiter. Sie untersuchten Facebook-UserInnen und zeigten, dass Männer mehr und viel einflussreichere Netzwerke auf der Social Media Plattform lukrieren, als Frauen. Letztgenannte bilden eher Netzwerke in ihrem Bekanntenkreis, während Männer dazu tendieren Öffentlichkeit zu schaffen, was ihnen auch umgekehrt mehr Einfluss verschafft[46].

Ersichtlich werden diese männlichen Netzwerkdynamiken auch auf Seiten wie z.B. LAD Stories, die vor allem in Großbritannien Popularität genießen. Dabei erzählen sich Männer u.a. gegenseitig Trinkgeschichten von letzter Nacht, heroisieren ihre Männlichkeit, während Frauen in diesen Postings objektiviert und zumal herabwürdigend präsentiert werden. Das Internet wird somit als Tool erfolgreich für männliche Netzwerkstrukturen vereinnahmt. Mann kann hier auch gerne etwas über die Stränge schlagen, spitzzüngige Kommentare formulieren und den einen oder anderen sexistischen Witz machen, den mann sich offline Auge in Auge mit seinem Gegenüber vielleicht verkniffen hätte.

Vermehrt werden diese Angriffe als schlichtes „Trollen“ abgetan. Gemeint sind damit aber aggressive, online Invektive[47]. Dies sind angeblich amüsante Scherze, die durchwegs auf Kosten von schwächer gestellten Gruppen und Individuen gehen. Will frau sich gegen ebensolche Mechanismen zur Wehr setzen und spricht Ungleichheiten online gezielt an, wird z.B. gekontert: „Na und! Dann schreiben dir eben Männer Fragen zu deiner Oberweite. Ignoriere diese Postings schlichtweg.“ – „Das ist 4chan, da nimmt sich niemand ernst.“ – „Es hat ja niemand von dir verlangt, dass du einen Blog anlegst. Die Kommentare musst du dann eben in Kauf nehmen.“

Hinter einer IP-Adresse versteckt lassen sich somit Ressentiments gegen Frauen leichter ausleben und finden durch das starke Kollektiv, das sich online bildet, sogar noch Zustimmung und „likes“.

Ersichtlich wird dieser männliche Netzwerkmechanismus auch durch die seit 10 Jahren wachsende maskulinistische Gemeinschaft. Die Männerrechtsbewegung in der deutschsprachigen Welt nutzt hierbei gezielt das Medium Internet[48], aber auch in den USA, Kanada und Großbritannien finden sich ähnlich erstarkende Gruppierungen[49]. Frauen und Feminismus – sogenannte Feminazis – werden zum Ziel ihrer online Attacken, das Internet ermöglicht hierbei Vernetzung auf Plattformen wie WGvdL.com.

Die erwähnten Beispiele deuten daraufhin wie das Netzwerk Internet zu einem Männernetzwerk wird, welches sich ganz im Sinne der Netzwerktheorie um Fragen von Macht und Ressourcen dreht[50]. Abermals wird das Internet seinem geschlechtsfreiem Anspruch nicht gerecht.

6. Das Internet kann nicht zaubern, aber wir können etwas tun!

Als Haraway das Cyborgwesen konstruierte und damit den Ausdruck Post-Gender implementierte, bestand die Hoffnung darin, dass neue Technologien die Kategorie Geschlecht unwichtig und Gleichberechtigung möglich machen würden. Diese Annahme hält sich noch heute. Auf der DLD-Women-Konferenz 2012 wurden „Superfrauen“ vorgestellt, die Karriere und Kind dank den Vorteilen des Internets managerhaft unter einen Hut bringen[51]. Das Internet ermögliche Arbeiten von zu Hause aus, Anwesenheit sei nicht mehr gefragt und Emails kann frau auch im Kinderzimmer abrufen.

Die Vorstellung, dass die „Superfrau” des Internetzeitalters mit dem Kind auf dem Schoß und dem PC vor sich CEO-Aufgaben erledigt, ist realitätsfern. – Diese „Superfrauen“ haben nichts mit den Cyborgwesen von Haraway zu tun. Fragen zu Betreuungs- und Erziehungspflichten und reproduktiven Aufgaben haben sich auch durch das Internet nicht in Luft aufgelöst. Das Internet macht auch den Kampf für Gleichberechtigung nicht automatisch einfacher oder das Leben für Frauen in unserer Gesellschaft so mir nichts, dir nicht leichter.

Das Internet mag für alle Geschlechter Vorteile bringen, aber ohne die Zusatzverpflichtungen von Frauen dezidiert aufzuheben, Sexismus und Stereotype zu überwinden und Frauennetzwerke zu fördern, wird auch das Internet keine Wunder vollbringen.

 

Das Internet ist also weit davon entfernt, eine geschlechtsfreie Sphäre zu sein. Rollenbilder, Stereotype, Sexismus, männliche Dominanzstrukturen und Netzwerke sind online und offline vorhanden. Für Gleichberechtigung zu kämpfen heißt somit auch, diese Dynamiken im Internet kritisch zu hinterfragen. Die digitale Welt ist schlichtweg ein Spiegel der gesellschaftlichen offline Verhältnisse. Frauen in den patriarchalen Strukturen zu unterstützen und diese männlich-fixierte Konstitution der Gesellschaft zu verändern, bedeutet somit Initiativen in beiden Sphären zu schaffen.

Cyberfeministische Praxen, wie etwa die gezielte Zusammenarbeit von Frauen durch Technologie, weibliche Koalitionen online und die kritische Betrachtung des Gender Bias in der IT-Branche sind möglich[52]. Beispiele für dieses Empowerment ganz im Sinne von CyberfeministInnen finden sich etwa in Form von bestärkender Webseiten (z.B. sistahspace.com, maedchenblog.de, woneedsfeminism.com, iholaback.org oder hatr.org), aber auch in der Praxis der unzähligen weiblichen Bloggerinnen die den sexistischen Attacken stand halten. Aktuell sind Diskussionsrunden, Symposien und Konferenzen zum Thema Netzpolitik zumeist stark männlich besetzt. Aufgezeigt wird dies unter anderem auf Anne Roths blog 50 Prozent[53], dessen BetreiberInnen die Genderratio öffentlicher Events im Netz sammeln. JedeR kann dabei das Geschlechterverhältnis einer Veranstaltung veröffentlichen und die Anzahl der teilnehmenden Männern und Frauen bekannt machen. Damit wird ein kritisches Statement gesetzt und auf dieses Missverhältnis hingewiesen.

Die Antwort auf dieses Ungleichgewicht und dessen Aufhebung findet sich in aktiver Frauenförderung. Diese hat gemeinsam mit gezielter Vernetzung schon vielerorts Früchte getragen. Die Speakerinnenliste auf Netzfeminism.org soll hier deshalb positiv genannt werden. Dem Trend der männerbesetzten Panels entgegenwirkend, werden auf dieser Website Frauen mit entsprechendem Fachwissen in unterschiedlichen Feldern der Netzpolitik vorgestellt. Potenzielle VeranstalterInnen können diese demzufolge ansprechen und gezielt einladen. Frauenlose Panels sind damit unentschuldbar geworden.

Beispielhaft nennen lassen sich auch die Initiativen GnomeWomen und Ada Initative. Beide Projekte unterstützen Frauen bei der Ausarbeitung und Weiterentwicklung von Free und Open Source Software und motivieren diese zur Mitarbeit. Sie bieten Hilfestellung, spezielle Trainings, um Frauen in dieser stark männlich dominierten Szene zu unterstützen.

Auch auf Twitter formieren sich Bewegungen, die dazu beitragen sollen, Frauen sichtbarer zu machen. In Anlehnung an den theoretisch genderneutralen wöchentlichen Follower Friday (#ff), der dazu dient, Empfehlungen für TwitternutzerInnen auszusprechen, bietet das Hashtag #fff (Female Follower Friday) ein explizit weibliches Pedant dazu, das dazu dient, gezielt weibliche „Twitterinnen“ zu empfehlen.

Weitere Möglichkeiten mit Sexismus off- und online umzugehen und Öffentlichkeit für dieses Problem zu schaffen zeigten unter anderem Initativen wie #aufschrei oder #1ReasonWhy auf. Der Gebrauch dieser Hashtags diente Frauen dazu, mit ihren persönlichen Erfahrungen (Alltags-)Sexismus betreffend zu Wort kommen und Unterstützung im Kollektiv finden. #aufschrei wurde in Deutschland von den Massenmedien ebenso, wie der blogospähre aufgegriffen und führte schließlich zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Aktivitäten wie diese rütteln an der primären männlichen Dominanz des Internets und der IT-Branche. All das deutet daraufhin, dass Veränderungen möglich sind.

Geschlechtersensible Pädagogik bleibt angesichts der Lage weiterhin ein wichtiger Schritt, um Frauen in technischen Bereichen zu stärken und zu unterstützen.

Maßnahmen wie die hier angeführten konsequent verfolgt können helfen, Stereotype aufzuheben und aktiv-passiv Dualismen im Sinne von männlichen FramerInnen und weiblichen UserInnen zu überwinden. Es geht aber auch darum, Frauen Raum zu geben und umgekehrt, dass sich Frauen diesen Raum auch dezidiert nehmen und ihn einfordern – sowohl offline als auch online. Diese Aspekte müssen umgesetzt bzw. weitergeführt werden, damit der Gender Gap in der IT-Branche, sowie die männliche Vorherrschaft im Internet ausgeglichen – und Post-Gender keine Utopie, sondern Realität werden kann.

Online-Empfehlungen zum Weiterlesen


[1] Vgl. Barak, A., Boniel-Nissim, M., & Suler, J. (2008). Fostering empowerment in online support groups. Computers in Human Behavior, 24(5), 1867–1883; Vgl. Wilding, F., & Ensemble, C. A. (1998). Notes on the political condition of cyberfeminism. Art Journal, 57(2), 46–59.

[2] Vgl. Gimmler, A. (2001). Deliberative democracy, the public sphere and the internet. Philosophy & Social Criticism, 27, 21–39.

[3] Haraway, D. (1994). A manifesto for cyborgs: Science, technology, and socialist feminism in the 1980s. The Postmodern Turn: New Perspectives on Social Theory, 82–115.

[4] Vgl. Campbell, B., Schellenberg, E. G., & Senn, C. Y. (1997). Evaluating measures of contemporary sexism. Psychology of Women Quarterly, 21(1), 89–102.

[5] Glick und Fiske definieren 1997 in Hostile and benevolent sexism measuring ambivalent sexist attitudes toward women. (Psychology of Women Quarterly, 21(1), 119–135) Sexismus u.a. als eine Feindlichkeit gegen Frauen. Die Aufrechterhaltung der traditionellen Geschlechterrollen zwängt beide Geschlechter in gesellschaftliche Rollen, wobei diese insbesondere Frauen in eine untergeordnete Position und in eine Stellung mit weniger Macht drängt, als Männer (Glick, P., Fiske, S. T., Mladinic, A., Saiz, J. L., Abrams, D., Masser, B, Alao, A. (2000). Beyond prejudice as simple antipathy: Hostile and benevolent sexism across cultures. Journal of Personality and Social Psychology, 79(5), 763.).

[6] vgl. Lipton, J. D. (2010). Combating cyber-victimization. https://works.bepress.com/jacqueline_lipton/11 (Letzter Aufruf: 23.4.2013)

[7] s. Barak, A. (2005). Sexual harassment on the internet. Social Science Computer Review, 23(1), 77–92.

[8] vgl. Citron, D. (2009b). Law’s expressive value in combating cyber gender harassment. Michigan Law Review, 108, 373–416.

[9] Halder, D., & Jaishankar, K. (2011). Cyber gender harassment and secondary victimization: A comparative analysis of the united states, the UK, and India. Victims & Offenders, 6(4), 386–398.

[10] vgl. Kemper, A. (2012). Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum. Münster: Unrast Verlag.

[11] Die Politikwissenschafterin Birgit Sauer weist in einem Interview darauf hin, dass sich Feminismus nur gegen die patriarchale Ordnung und Frauenunterdrückung, nicht jedoch gegen Männer an sich richtet. (Vgl. Schiester, A. (2012, 10.03.2012). Ohne Unterschied: Post-Gender: Was nach dem Feminismus kommt. Salzburger Nachrichten, pp. 1–2.)

[12] Reinsberg, H. (2012, 18.07.2012). 4Chan hacks feminism.org to make Rape Jokes. Buzzfeed.

[13] Bennett, J. (2011, 05.11.2011). Should facebook ban sexist pages?. The Daily Beast.

[15] Vgl. O’Leary, A. (2012, 01.08.2012). In virtual play, sex harassment is all too real. New York Times.

[16] Kampmann, B., Keller, B., Knippelmeyer, M., & Wagner, F. (2013). Wikipedia: Lexikon sucht frau. Die Frauen und das Netz (pp. 159-171) Springer.

[17] Kleinz, T. (2012, 31.08.2012). Sexismus bei Wikipedia. Erschreckende Aggressivität. Taz. Die Tageszeitung.

[18] Citron, D. (2009a). I. anonymous mobs of the twenty-first century. Boston University Law Review, 1–23.

[19] Meyer, R., & Cukier, M. (2007). Assessing the attack threat due to IRC channels. University of Maryland School of Engineering, 1–6.

[20] vgl. Balsamo, A. (1995). Technologies of the gendered body: Reading cyborg women. Durham: Duke University Press Books. / Faulkner, W. (2001). The technology question in feminism: A view from feminist technology studies. Paper presented at the Women’s Studies International Forum, 24(1) 79–95.

[21] Orland, B. (1996). Geschlecht als Kategorie in der Technikhistoriographie. In Meinel C., & M. Renneberg (Eds.), Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik (pp. 30-42). Stuttgart: GNT-Verlag.

[22] Frauen sind vermehrt auf der EmpfängerInnen-Seite von Technologie (Arnold, E., & Faulkner, W. (1985). Smothered by invention: Technology in women’s lives. London: Pluto Press.)

[23] vgl. Durndell, A., & Haag, Z. (2002). Computer self efficacy, computer anxiety, attitudes towards the internet and reported experience with the internet, by gender, in an east European sample. Computers in Human Behavior, 18(5), 521–535. / McIlroy, D., Bunting, B., Tierney, K., & Gordon, M. (2001). The relation of gender and background experience to self-reported computing anxieties and cognitions. Computers in Human Behavior, 17(1), 21-33. / Todman, J., & Day, K. (2006). Computer anxiety: The role of psychological gender. Computers in Human Behavior, 22(5), 856-869.

[24] Stanworth, M. (1987). The deconstruction of motherhood Cambridge: Polity Press. / Wajcman, J. (1991). Feminism confronts technology. Pennsylvania: Penn State University Press.

[25] Shiva, V., & Mies, M. (1993). Ecofeminism. Atlantic Highlands, NJ: Zed,

[26] Plant, S. (1997). Zeros ones: Digital women the new technoculture. London: Fourth Estate.

[27] Vgl. Barker, L. J., McDowell, C., & Kalahar, K. (2009). Exploring factors that influence computer science introductory course students to persist in the major. ACM SIGCSE Bulletin, 41(2), 282-286. Retrieved from www.ncwit.org/sites/default/files/legacy/pdf/Barker-McDowell-Kalahar-SIGCSE2009.pdf (Letzter Aufruf: 23.4.2013); Spencer, S. J., Steele, C. M., & Quinn, D. M. (1999). Stereotype threat and women’s math performance. Journal of Experimental Social Psychology, 35(1), 4–28.

[28] Vgl. Gruber, J. E. (1998). The impact of male work environments and organizational policies on women’s experiences of sexual harassment. Gender & Society, 12(3), 301–320.

[29] Gurer, D., & Camp, T. (2001). Investigating the incredible shrinking pipeline for women in computer science. (No. 9812016). National Science Foundation. Retrieved from https://women.acm.org/archives/documents/finalreport.pdf. (Letzter Aufruf: 23.4.2013)

[30] Vgl. Cohoon, J. M., Wu, Z., & Chao, J. (2009). Sexism: Toxic to women’s persistence in CSE doctoral programs. ACM SIGCSE Bulletin, 41(1), 158-162. Retrieved from www.zuluzone.info/files/Sexism:%20toxic%20to%20women%27s%20persistence%20in%20CSE%20doctoral%20programs.pdf (Letzter Aufruf: 23.4.2013)

[31] Krotoski, A. (2004). White paper: Chicks and joysticks: An exploration of women and gaming. Entertainment & Leisure Software Publishers Association (ELSPA). cs.lamar.edu/faculty/osborne/COSC1172/elspawhitepaper3.pdf. (Letzter Aufruf: 23.4.2013)

[32] Nafus, D. (2012). Patches don’t have gender: What is not open in open source software. New Media & Society, 14(4), 669-683.

[33] Bailenson, J. N., Swinth, K., Hoyt, C., Persky, S., Dimov, A., & Blascovich, J. (2005). analysierten in „The independent and interactive effects of embodied-agent appearance and behavior on self-report, cognitive, and behavioral markers of copresence in immersive virtual environments.“ (Presence: Teleoperators & Virtual Environments, 14(4), 379–393.) die menschenähnlichen Figuren und konnten nachweisen, dass Frauen objektiviziert, stereotypisiert (z.B. Aktiv-Passiv-Dualismus: Mario rettet die hilflose Prinzessin) und stark sexualisiert werden (vgl. auch Beasley, B., & Standley, T. C. (2002). Shirts vs. skins: Clothing as an indicator of gender role stereotyping in video games. Mass Communication & Society, 5(3), 279–293. / Burgess, M. C., Stermer, S. P., & Burgess, S. R. (2007). Sex, lies, and video games: The portrayal of male and female characters on video game covers. Sex Roles, 57(5), 419–433.)

[34] Danet, B. (1998). Text as mask: Gender, play, and performance on the internet. Cybersociety, 2, 129–158.

[35] Kelly, D. M., Pomerantz, S., & Currie, D. H. (2006). „No boundaries”?: Girls’ interactive, online learning about femininities. Youth and Society, 38(1), 3–28.

[36] Kucukyilmaz, T., Cambazoglu, B. B., Aykanat, C., & Can, F. (2008). Chat mining: Predicting user and message attributes in computer-mediated communication. Information Processing & Management, 44(4), 1448-1466.

[37] Vgl. Atai, M. R., & Chahkandi, F. (2012). Democracy in computer-mediated communication: Gender, communicative style, and amount of participation in professional listservs. Computers in Human Behavior, 28(3), 881-888. / Christofides, E., Islam, T., & Desmarais, S. (2009). Gender stereotyping over instant messenger: The effects of gender and context. Computers in Human Behavior, 25(4), 897–901. / Sierpe, E. (2005). Gender distinctiveness, communicative competence, and the problem of gender judgments in computer-mediated communication. Computers in Human Behavior, 21(1), 127–145.

[38] Douglass, D. W. M. (1997). Cyberself: The emergence of self in on-line chat. The Information Society, 13(4), 375–397.

[39] Vgl. Plakoyiannaki, E., Mathioudaki, K., Dimitratos, P., & Zotos, Y. (2008). Images of women in online advertisements of global products: Does sexism exist? Journal of Business Ethics, 83(1), 101–112.

[40] Vgl. BITKOM. (2011). Das Internet ist keine Männerdomäne mehr. (Press Release). Berlin: Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.

[41] Helsper, E. J. (2010). Gendered internet use across generations and life stages. Communication Research, 37(3), 352–374.

[42] Joiner, R., Gavin, J., Brosnan, M., Cromby, J., Gegory, H., Guiller, J, Moon, A. (2012). Gender, internet experience internet identification and internet anxiety: A ten year follow up. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 15(7), 370–372.

[43] Kreisky, E. (1994). Das ewig Männerbündische? Zur Standardform von Staat und Politik. In C. Leggewie (Ed.), Wozu Politikwissenschaft? Über das neue in der Politik (pp. 191–208). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. und Kreisky, E. (1995). Der Stoff, aus dem die Staaten sind. zur männerbündischen Fundierung politischer Ordnung. In R. Becker-Schmidt, & G. Knapp A (Eds.), Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Frankfurt aM (pp. 85–124). Frankfurt: Camous.

[44] Ausserhofer, J., Kittenberger, A., & Maireder, A. (2012). Twitterpolitik: Netzwerke und Themen der politischen Twittersphäre in Österreich. (). Wien: Universität Wien.

[45] Aral, S., & Walker, D. (2012). Identifying influential and susceptible members of social networks. Science, 337(6092), 337–341.

[46] Eagly, A. H. (1987). Sex differences in social behavior: A social-role interpretation. Hillsdale: Lawrence Erlbaum Associates. / Tannen, D. (1990). You just don’t understand: Women and men in conversation. New York: Ballantine Books.

[47] Thrope, V., & Rogers, R. (2011, 06.11.2011). Women bloggers call for a stop to ‘hateful’ trolling by misogynist men. The Guardian.

[48] Vgl. Kemper, A. (2012). Die Maskulisten.

[49] Blais, M., & Dupuis-Déri, F. (2012). Masculinism and the antifeminist countermovement. Social Movement Studies, 11(1), 21–39.

[50] Katzmair, H., & Mahrer, H. (2011). Die Fformel der Macht. Salzburg: Ecowin Verlag.

[51] Borchardt, A. (2012, 12.07.2012). Im Wettbewerb der Superfrauen. Süddeutsche.

[52] Wilding, F. (1998). Where is feminism in cyberfeminism? N.Paradoxa, 2, 6–13.

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