Das Internet ist zu einem zentralen Resonanzraum verschiedenster Ideen, Vorstellungen und Wünsche geworden. Es können Heimgärtnervereine ebenso wie Revolutionen gestartet, Musikvideos betrachtet, aber auch Filme über Menschenrechtsverletzungen angesehen werden. Menschen können sich im Internet austauschen, Informationen oder Unterhaltung suchen und konsumieren, politisch aktiv werden und sich organisieren. Den Möglichkeiten des Internets scheinen kaum Grenzen gesetzt.
Das Internet verstärkt aber auch Ungleichheiten. Wer beispielsweise in Österreich keinen Zugang zum Internet hat, ist benachteiligt. So können sich Studierende an manchen Universitäten nur noch online zu Lehrveranstaltungen anmelden, Behörden setzten zunehmend auf Online-Angebote für BürgerInnen, aber auch reine Vereinfachungen eines Lebensalltags wie die Möglichkeit, online einzukaufen, gewinnen an Bedeutung. Damit reicht das Internet mit seinen vielseitigen Potentialen zunehmend weit in die Lebensrealität jedes einzelnen Individuums hinein, was unter anderem die Frage verschärft, wer in welcher Form Zugang haben kann (und haben muss) – und wer von den Möglichkeiten des Internets ausgeschlossen bleibt.
Hier sind netzpolitische Ideen und Lösungen gefragt, zumal in diesem Sinne kaum noch zwischen physischer und virtueller Realität unterschieden werden kann. Noch stärker als bisher betrifft im Informationszeitalter das Ringen seitens Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft um Macht und Einfluss im, auf und über das Internet jeden einzelnen Menschen. Auch 20 Jahre nach Beginn der Kommerzialisierung des Internets muss daher betont werden, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Recht gilt offline wie online. Und vor allem: Menschenrechte gelten offline wie online. Verstöße werden offline wie online verfolgt, wenngleich sich dies in virtuellen Sphären häufig schwieriger gestaltet.
Jedwede Möglichkeit einer Verfolgung ist aber zumeist auch eine Frage des Vermögens – und das Recht somit häufig auf Seiten jener, die es sich (in jeglicher Hinsicht) leisten können. Im Sinne einer Gerechtigkeit bedürfen wir also einer menschenrechtssensiblen Netzpolitik, die angesichts der Bedeutung des Internets gleichermaßen Rechts- wie Infrastruktur-, Wirtschafts- wie Bildungs- und Sozialpolitik zu sein hat.
Der vorliegende Band ist das Ergebnis der 2. Initiative des Co:llaboratory Österreich (Co:Lab AT, Internet und Gesellschaft) zum Thema Netzpolitik in Österreich – Internet. Macht. Menschenrechte. Die rund 30 teilnehmenden Netz-ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis (von denen 21 TeilnehmerInnen jeweils einen bis mehrere Beiträge zum vorliegenden Band verfasst haben) untersuchten im Rahmen dieser Initiative die Rolle der Menschenrechte im Internet und die sich daraus ergebenden Notwendigkeiten für eine österreichische Netzpolitik. Die thematische Zuordnung wurde 2012 größtenteils im Rahmen der drei ganztägigen Arbeitstreffen in Graz (Juni), Salzburg (September) und Wien (November) vorgenommen:
Die Beiträge in Teil 1 widmen sich dem Zusammenhang von Macht und Recht im Internet und den Folgen von dessen Vermachtung und Verrechtlichung (auch in ökonomischer Hinsicht). In Teil 2 werden neue menschenrechtliche Herausforderungen im Internet im Detail diskutiert. Teil 3 greift zentrale Fragen der Internet Governance und des internationalen Rahmens für nationale Netzpolitik auf. Dem emanzipatorischen Potenzial des Internets widmet sich Teil 4, das Bildung und web literacies als zentrale Faktoren für eine Gesellschaft identifiziert, in der das Internet als Rahmen eines sozialen Wandels begriffen wird und seinerseits sozialen Wandel fördern kann. Das abschließende Teil 5 stellt den ersten vier Kapiteln, die neben praktischen Überlegungen stets auch theoretische Aspekte mitbehandeln, Seiten des Engagements gegenüber, indem es verschiedene Spielarten eines Internet-Aktivismus und dessen Ziele beleuchtet.
(Siehe auch: Die Thesen im Detail)
Als offene Kollaborationsplattform konzipiert, entwickelt sich das Co:llaboratory Österreich laufend weiter und soll für Einflüsse aus verschiedensten Richtungen offen sein. Ziel ist die Vernetzung von Internet-Expertinnen und -Experten aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die stetig wachsende Relevanz von Netzpolitik. Dieses Buch ist als Beitrag dazu gedacht. Es sucht bestehende Diskursfäden über Netzpolitik in Österreich zu bündeln und neue Ideen einzubringen.
Als „living instrument“, das dem Charakter des Themas entsprechend weiterlebt, wird der vorliegende Band online weiterbearbeitet – auf zusätzliche Inputs seiner LeserInnen und deren Kollaboration hoffend. Parallel und ergänzend finden sich daher alle Inhalte und damit die aktuellste Version dieser und zusätzlicher Beiträge dieser Initiative hier, in dieser Online-Publikation.
Besonderer Dank gilt der Unterstützung des Co:llaboratory.de – im Besonderen Sebastian Haselbeck. Darüber hinaus danken die HerausgeberInnen Peter Parycek, dem Leiter des Departments für E-Governance an der Donau-Universität Krems, sowie allen UnterstützerInnen der Arbeitstreffen, die zu diesen Gelegenheiten Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Verfügung stellten: die Karl-Franzens-Universität Graz, das ICT&S Center der Universität Salzburg und das quartier21/QDK. Darüberhinaus sei allen TeilnehmerInnen und AutorInnen für ihre aktive, kreative und ideenreiche Mitwirkung gedankt.
Graz/Wien/Krems, Mai 2013
Matthias C. Kettemann und Clara Landler