5.3. Democracy Live? (David Röthler)

Das demokratische Potenzial interaktiver Live-Videosysteme

1. Live-Übertragungen aus Parlamenten
2. Von der Interaktion zur Partizipation?
3. Politische Kommunikation in Live-Online-Räumen

1. Live-Übertragungen aus Parlamenten

Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für politische Partizipation[1]. Wenn Bedingungen geschaffen werden sollen, unter denen politische Beteiligung gedeihen kann, müssen Wege gefunden werden, politische Abläufe nachvollziehbar zu machen – zum Beispiel durch den Einsatz interaktiver Live-Videosysteme. Mit diesen Systemen können Diskursräume geöffnet werden oder neue Räume für politische Meinungsbildung und politisches Handeln entstehen.

Politische Entscheidungen werden in den Parlamenten (bzw. allgemeinen Vertretungskörpern) auf lokaler, Landes-, und Bundesebene getroffen. Diese Gremien sind für die Öffentlichkeit grundsätzlich zugänglich. Nun ermöglichen digitale Medien seit einiger Zeit die einfache Übertragung von Ton und Bild aus Gemeinderäten, Landtagen, dem Bundesrat und Nationalrat. Dadurch wird die Zugänglichkeit zu den entsprechenden Sitzungen erweitert und für viele BürgerInnen niederschwelliger, da die Teilnahme ortsunabhängig und anonym erfolgen kann. Darüber hinaus wird im Regelfall eine Aufzeichnung der Sitzung im Internet bereitgestellt, die eine zeitversetzte Wiedergabe des Geschehens ermöglicht.

Mittlerweile wird bei Nationalratssitzungen ein Livestream eingerichtet. Ebenso ist ein solcher bei den Sitzungen aller österreichischen Landtage (bis auf das Burgenland) und in einer immer größer werdenden Anzahl von Gemeinden zu finden. Es wird immer schwieriger für die Politik sich diesem Trend zu verschließen, weil von der Allgemeinheit zunehmend Transparenz gefordert wird.

Allerdings gibt es auch rechtliche und politische Bedenken oder gar Widerstände:

In Deutschland scheint die Rechtslage – zumindest auf kommunaler Ebene – die Einrichtung von Livestreams zu behindern. Dort wird ein Gemeinderat nicht als Parlament im staatsrechtlichen Sinne gesehen, sondern vornehmlich als ein Verwaltungsorgan der Kommune. Die Sitzungen müssen zwar öffentlich sein, doch genügt im Regelfall eine „Saalöffentlichkeit“. Es gibt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Tonaufnahmen eines Journalisten während einer Gemeinderatssitzung verboten hatte, da diese eine schädliche Wirkung auf das Verhalten der Betroffenen hätten, „weil sie jede Nuance aus der Rede, einschließlich der rhetorischen Fehlleistungen, der sprachlichen Unzulänglichkeiten und der Gemütsbewegungen des Redners dauerhaft und ständig reproduzierbar“ konservieren.[2] Im Fall der Stadt Konstanz in Baden-Württemberg hatte der Landesdatenschutzbeauftragte entsprechende datenschutzrechtliche Bedenken. Die Persönlichkeitsrechte, nicht allein der GemeinderätInnen, sondern auch der VerwaltungsmitarbeiterInnen, der ZuschauerInnen und beteiligter Dritter müssten gewahrt werden.[3]

Tatsächlich verändert die Live-Übertragung das Verhalten der Abgeordneten. Sie nutzen die Sitzung verstärkt als öffentliche Bühne für ihre Meinung. Das Bewusstsein, dass die Sitzung live oder als Aufzeichnung gesehen werden kann, hat selbstkontrollierende Wirkung.

Einige Ortsparlamente scheinen – mit dem eher geschlossenen Rahmen – schlicht zufrieden zu sein. So wird die Gemeinde Wiessee in Bayern wie folgt zitiert:

„Das Interesse vor Ort an den öffentlichen Sitzungen ist bis auf wenige Ausnahmen relativ gering. Wir denken nicht, dass durch die Übertragung ins Internet in Echtzeit eine recht viel breitere Masse an Interessierten erreicht wird.“[4]

2. Von der Interaktion zur Partizipation?

Während ein Großteil der Live-Übertragungen dem traditionellen One-to-many-Paradigma folgt und keine Interaktion des Publikums zulässt, wurde beispielsweise bei der Übertragung der Gemeinderatssitzungen der Stadt Salzburg (an denen der Autor dieses Beitrags technisch und konzeptionell beteiligt ist) ein Chat neben dem laufenden Video eingeblendet.[5] In diesem können sich die ZuseherInnen über das Geschehen im Gemeinderat austauschen und die Übertragung mit zusätzlichen Informationen bereichern. Eine in diesem Zusammenhang interessante Variante ist die Beteiligung von MandatsträgerInnen aus dem Gemeinderatssaal am Chat durch die Nutzung von Notebooks, Smartphones oder Tablets. Dadurch könnten diese, auch ohne aktuelles Rederecht, einen direkten Kanal nutzen, um mit potentiellen Wählerinnen und Wählern in Kontakt zu treten oder gegebenenfalls ihre Gegenmeinung kundzutun. Wenn man dieses Szenario weiterdenkt, könnte sich die interessante Fragen stellen, wie sich das Gremium und die Diskussionskultur im Gemeinderat oder einem anderen Parlament ändert, wenn viele oder gar alle MandatarInnen sich parallel zur laufenden Debatte über das Medium Chat austauschen. Wenn sich die Sitzungskommunikation solcherart auf den Chat verlagern würde, könnte dies auch gegen die jeweiligen Geschäftsordnungen verstoßen. So stellt beispielsweise §7 der Geschäftsordnung des Gemeinderats der Landeshauptstadt Salzburg[6] fest, dass die Sitzungen des Gemeinderats grundsätzlich öffentlich sind, „die Zuhörer sich aber jeder Äußerung zu enthalten haben“. Dies wäre in dem beschriebenen Szenario nicht mehr gewährleistet und würde wohl gegen die Geschäftsordnung verstoßen. Andererseits könnte dadurch eine interessante Form der Partizipation – wahrscheinlich aber nur bei entsprechender Moderation – entstehen. Wenn die Stimmberechtigung bei den gewählten MandatarInnen bliebe, würde dabei das Konzept der indirekten Demokratie beibehalten.

Eine mögliche interessante Folge von Live-Übertragungen ist, dass weitere Wünsche nach Transparenz erfüllt werden. So finden sich seit November 2012 erstmals vorbereitende Dokumente der Salzburger Gemeinderatssitzungen, wie Amtsberichte (Entscheidungsvorschläge, die auf Verwaltungsebene erarbeitet wurden) und die entsprechenden Stellungnahmen im Internet veröffentlicht[7].

Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Live-Übertragung von Sitzungen der Parlamente festhalten, dass dadurch die Zugänglichkeit und deren Transparenz erhöht wird. Das partizipative Potential wird zurzeit noch nicht ausgeschöpft.

3. Politische Kommunikation in Live-Online-Räumen

Der kanadische Regionalpolitiker Garth Frizzel berichtete im Frühling 2012 in seinem Weblog über die neue Kommunikationsform „Google Hangouts“, die er für sich entdeckt hat:

„Some time ago, I began regular video-conferences with people. My goal was to talk with people about municipal issues that were affecting them in their cities, whether it was Prince George, or even Victoria, Surrey, Montréal, Winnipeg… wherever. The response was surprising. People liked talking frankly, unfiltered, with no preparation… about issues affecting them. The uptake was great from other elected officials too. […] With no agenda, and no partisan leaning, the discussion has migrated to where random Canadians wanted to take it. It’s been an interesting start, and the only observation that’s been consistent has been that the open format is one that they LOVED.“ [8]

„Google Hangouts“[9]sind Videokonferenzen, die Google mit dem Sozialen Netzwerk Google+ im Sommer 2011 eingeführt hat. Bis zu 10 Personen können an solchen Videokonferenzen teilnehmen und zum Beispiel über Whiteboard und gemeinsame Dokumente zusammenarbeiten.

Eine faszinierende Option sind dabei die „Hangouts on Air“[10]. Diese erlauben die Live-Übertragung der Videokonferenz über Youtube. So kann ein unbegrenzt großes Publikum erreicht werden. Allerdings sind in diesem Fall die Interaktionsmöglichkeiten für die Zusehenden auf die Kommentarfunktion beschränkt. Die Aufzeichnung steht im Anschluss sogleich als Youtube-Video zur Verfügung.

Dieses oder andere Systeme können verwendet werden, um als PolitikerIn mit WählerInnen in Kontakt und Austausch zu treten. Die Grünen in Salzburg haben – begleitet vom Autor dieses Beitrags – im Oktober 2012[11] erste Versuche in diese Richtung unternommen.

Auch Second Life wurde und wird als dreidimensionaler Onlineraum zur Diskussion und Aktion genutzt. So fand beispielsweise 2007 eine Online-Demonstration von Avataren im virtuellen Washington in Second Life gegen den Krieg im Irak[12], sowie eine Podiumsdiskussion zur Bremer Bürgerschaftswahl[13] statt. Auch wenn es nach dem Hype um Second Life vor mehr als fünf Jahren um die Onlinewelt ruhig geworden ist, ist Second Life dennoch aufgrund der Dreidimensionalität für persönliche Interaktion sehr interessant. Die Sprachverbindung ist nicht zuletzt durch Raumklang sehr gut und von hoher Stabilität. Die Personen bzw. Avatare können ihre aktuelle Beziehung zueinander durch den jeweils aktuellen Standort auch den anderen Teilnehmenden klar vermitteln. Wer in einer Gruppe zusammen steht oder sitzt, befindet sich für alle anderen offensichtlich in einem gemeinsamen Gespräch. Dadurch können Online-Treffen auch – wie bei Präsenzveranstaltungen – durch informelle Zusammenkünfte (Pausengespräche) aufgelockert werden. Dieser Umstand verleiht Second Life ein hohes Potential. Allerdings erfordert der Zugang zu Second Life Übung und Erfahrung (vgl. Julian Ausserhofer und Heinz Wittenbrink, Kapitel 4.2 Web Literacies und Offene Bildung). Allein die Notwendigkeit der Installation eines Clientprogramms lässt Second Life nicht besonders niederschwellig erscheinen.

Eine Kombination von Präsenz- und Online-Veranstaltung bieten Livestreams, die durch Nutzung der entsprechenden Systeme auch interaktiv gestaltet werden können. Dadurch ist es Online-Teilnehmenden zum Beispiel möglich, sich über Audio und Video zu Wort zu melden.[14] Die Immersivität der Online-Teilnahme an Präsenzveranstaltungen, darunter versteht man das Eintauchen in eine Umgebung mit möglichst vielen Sinneseindrücken, kann durch Audio-/Video-Roboter wie dem Anybot[15] noch erhöht werden. Dieses fernzusteuernde, ähnlich einem Segway funktionierende, auf lediglich zwei Rädern fahrende Gerät, ermöglicht es Teilnehmenden aus aller Welt sich im Raum zu bewegen. Der Preis von $ 9.700,– ist zwar noch relativ hoch, es sind aber bereits günstigere Roboter mit ähnlicher Funktionalität erhältlich. Das Produkt „Double – Wheels for your iPad“ verspricht bei einem im Vergleich günstigen Preis von $ 1.900,–: „Double is the simplest, most elegant way to be somewhere else in the world without flying there.“ Der niedrigere Preis ergibt sich durch die Verwendung des iPads als Hardwarelösung und zur Steuerung.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich synchrone Online-Systeme sehr gut zur Meinungsäußerung, zum Diskurs und für politische Aktionen einsetzen lassen. Als Beispiel kann das EU-Projekt „Europe so Close“ (www.europe-so-close.eu), an dem der Autor dieses Artikels beteiligt ist, genannt werden. In diesem Projekt diskutieren EU-Abgeordnete, ExpertInnen und LobbyistInnen mit interessierten BürgerInnen in Form von Videokonferenzen.

Wichtiger Aspekt bei synchronen Online-Formaten ist die unmittelbare Interaktion trotz beliebiger geographischer Distanz, die diese Kommunikationsform effektiv und attraktiv erscheinen lässt. Nachteile sind die Zeitgebundenheit sowie der nicht in jedem Fall niederschwellige Zugang zu den jeweiligen Tools. Jedenfalls sind neue Räume für grenzenloses politisches Handeln entstanden. Nicht zuletzt erhöhen die neuen Optionen auch die Chancen der Teilhabe von Menschen mit Betreuungspflichten oder Mobilitätseinschränkungen und gewährleisten so unter Umständen die Einhaltung zentraler Grundrechte.


[1] Entsprechend wird auf https://www.data.gov/about, dem Open Data Portal der US-Regierung, Partizipation als Folge von Transparenz betrachtet: „Public participation and collaboration will be key to the success of Data.gov“. (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[2] BVerwGE 85, 283 – Abwehr von Tonaufnahmen in Ratssitzungen, Urteil vom 3. August 1990: https://www.servat.unibe.ch/dfr/vw085283.html (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[3] Vgl. Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 6.6.2012: https://goo.gl/PSVji (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[4] Vgl. Das Bayerische Fernsehen berichtet über Transparenz in den Tal-Gemeinden, Beitrag vom 15.6.2012: https://www.tegernseerstimme.de/gibt-es-etwas-zu-verbergen/34225.html (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[5] Siehe: Salzburger Gemeinderat_14.05.2012, Video: https://www.youtube.com/watch?v=e5OqE6aeCME&feature=share&list=UUVNC2cKWW3YC_OZgEmKIxPA (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[6] Siehe: Gemeinderatsbeschluß vom 19. Juli 1966, Amtsblatt Nr. 15/1966 (pdf): https://www.stadt-salzburg.at/pdf/gemeinderatsgeschaeftsordnung_inkl_106__ergaenzung.pdf (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[7] Vgl. Amtsberichte zum Altstadtausschuss vom 21.3.2013, Stadt Salzburg: https://goo.gl/9BmfM (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[8] s. https://www.garthfrizzell.com/en-francais-bringing-canadians-together.html#more-1126 (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[9] vgl. https://tools.google.com/dlpage/hangoutplugin (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[10] vgl. https://www.google.com/intl/de_ALL/+/learnmore/hangouts/onair.html (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[11] vgl. https://www.facebook.com/events/123200587832212/?fref=ts (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[12] vgl. https://www.youtube.com/watch?v=qaiGV_Hd0O8 (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[13] vgl. https://www.youtube.com/watch?v=W2bwAhOnq-Y (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[14] Ein Beispiel dafür sind die Village Innovation Talks vom Dezember 2011 Siehe: https://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?VillageInnovationTalk(Letzter Aufruf: 3.4.2013)https://www.flickr.com/photos/davidroethler/6532033821/lightbox/ (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

[15] vgl. https://www.anybots.com/ (Letzter Aufruf: 3.4.2013)

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