2.3. Internetsperren und Menschenrechte (Eva Jana Messerschmidt)

1. Internetsperren und Sperrtechnologien
2. Zweck von Netzsperren
3. Internetsperren im Lichte der EMRK[1]
4. Fazit

(Stand: Dezember 2012)

1. Internetsperren und Sperrtechnologien

Seit dem 1. November 2012 gilt in Russland ein neues Mediengesetz.[2] Es soll die Internetkriminalität bekämpfen, indem eine nicht öffentliche schwarze Liste von Internetseiten erstellt wird. Die betroffenen Websites sollen seitens der Zugangsprovider gesperrt werden. Obwohl die russische Regierung dieses Gesetz mit dem Kinderschutz rechtfertigt, vermuten viele KritikerInnen darin eine weitreichende Internetzensur, die sogar Sperrungen ausländischer Seiten zur Folge haben könnte. Solche Internetsperren werden schon lange weltweit zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt. Sie bedeuten eine inhaltliche Zensur sowie eine Verhinderung des Zugangs zu einzelnen Webseiten oder gar eine Totalabschaltung des Internets. Dabei werden diese Netzsperren nicht nur durch staatliche Institutionen bzw. auf Grund von staatlichen Verfügungen durchgeführt. Auch private Unternehmen wie beispielsweise Twitter oder Google verwenden diese Technologien, um illegale Angebote im Internet zu unterbinden.

Ein staatliches Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte stößt, da es über Staatsgrenzen hinausreicht, an völkerrechtliche Hindernisse. Wegen der fehlenden Gebietshoheit greifen daher zahlreiche Staaten zu Zugangssperren.[3] Da keine Möglichkeit besteht, gegen ausländische Content-Provider vorzugehen, werden die inländischen Access-Provider entsprechend in die Pflicht genommen. Tätig werden diese aber auch, um unerwünschte Seiten innerhalb des eigenen Staatsgebietes zu sperren. Solche Praktiken werden kritisiert, da Zugangsprovider dadurch zu einer Art staatlichen Werkzeugs werden.[4]

Zu den weitverbreiteten Sperrtechnologien gehören die Netzsperren am DNS-Server, Sperrungen durch Einträge in den Routing-Tabellen, Sperrungen durch einen Proxy-Server, hybride Sperransätze sowie die Technologie namens Deep Packet Inspection.[5] Nachweislich können alle Netzsperren umgangen werden. So ist es für DurchschnittssucherInnen im Internet bei einer DNS-Manipulation möglich, durch die direkte Eingabe der bekannten IP-Adresse statt des Domainnamens oder durch die Verwendung eines alternativen DNS-Servers das gewünschte Angebot doch zu erreichen.[6] Aber auch für alle anderen Technologien gibt es entsprechende Umgehungsmöglichkeiten.[7] Als Anti-Blockade-Software wird z.B. die Hilfssoftware Psiphon eingesetzt. Die Technik ist bei solchen Programmen grundsätzlich gleich: Die Datenspur zwischen einem Rechner und einem Server wird beseitigt, indem der Datenverkehr über Umwege geleitet wird.[8]

2. Zweck von Netzsperren

Die staatlichen Netzsperren werden einerseits in einem Rechtsstaat genutzt, um rechtswidrige Inhalte wie Kinderpornographie, illegale Glückspielangebote oder Urheberrechtsverletzungen im Internet zu bekämpfen.

Auf EU-Ebene sorgte das Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA) für Aufsehen. Die geheimen Verhandlungen zwischen der EU, den USA, Japan und vielen anderen Ländern dauerten über drei Jahre lang. Das Ziel von ACTA war die Bekämpfung von Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen. Zum Schutz von Immaterialgüterrechten sollten u.a. die Überwachung des Netzwerkes durch die InternetanbieterInnen und die Weiterleitung der daraus gewonnenen Informationen an die RechtsinhaberInnen durchgeführt werden. Obwohl die umstrittenen Internetsperren nach dem „Three-Strikes“ Prinzip in den Text nicht aufgenommen wurden, sollten die betreffenden Passagen nur scheinbar gestrichen werden und eine Sperrung auf Umwegen doch möglich gewesen sein.[9] Nachdem gegen das Urheberrechtsabkommen in vielen Ländern Tausende protestierten, mehrere EU-Staaten die Ratifizierung aussetzten und der EuGH eingeschaltet wurde, verweigerte auch das Europaparlament im Juli 2012 dem Abkommen seine Zustimmung. Das umstrittene Vertragswerk konnte somit in Europa nicht umgesetzt werden.[10]

Im Hinblick auf den Schutz des geistigen Eigentums erregt bisweilen ein weiteres Handelsabkommen das Gemüt bürgerrechtlicher Initiativen. Durch „die kanadische Hintertür“[11] soll ACTA doch noch eingeführt werden – und zwar in der Form des CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), einem Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, das dem abgelehnten ACTA-Abkommen „geleakten“ Verhandlungsunterlagen zufolge teils wortwörtlich entsprechen soll. Dies bestreitet die EU-Kommission – allerdings ohne den Text einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ein weiteres Beispiel für eine – zumindest zu hinterfragende – europäische Netzpolitik stellt die Richtlinie Ipred (Intellectual Property Rights Enfocement Directive)[12] dar. Diese Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern, die von der EU-Kommission auf den Weg der Änderung gebracht wurde, geriet ebenfalls bereits ins Visier von NetzaktivistInnen. Die konkrete Ausgestaltung der Regelung, die vor allem die Strafmaßnahmen für die Fälle des illegalen Kopierens und Verbreitens von Inhalten im Internet regeln soll, ist noch nicht bekannt.

Obwohl vom EU-Parlament sowie vom Rat der EU bereits abgelehnt, muss hier der (nahezu „Orwellsche“) Entwurf der Arbeitsgruppe für Strafverfolgung des Rats der EU vom März 2011 zur Lösung der Internetkriminalität (LEWP) Erwähnung finden. Nach diesem Vorschlag sollten gesetzwidrige Webseiten im Internet europaweit gesperrt werden, um „ein sicheres und einheitliches Cyberspace in Europa“ schaffen zu können.[13]

Auch in den einzelnen EU-Ländern werden Zugangssperren eingesetzt. Die Liste der sperrungsfreudigen Länder ist lang und kann hier nicht vollständig angeführt werden, einige Beispiele sollen einen kurzen Überblick über diese Praxis geben.

Große Beachtung – nicht nur bei den NetzaktivistInnen – erfuhr das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (ZugErschwG), das in Deutschland im Februar 2010 in Kraft getreten war. Das Bundeskriminalamt wurde damit verpflichtet, eine Sperrliste mit Domainnamen, Internetprotokoll-Adressen und Zieladressen von Telemedienageboten zu führen, die kinderpornographische Inhalte i.S.d. § 184 b dStGB enthalten. Diese täglich aktualisierte Liste musste den inländischen Internetprovidern übermittelt werden. Die Provider sollten den Zugang zu den in der Sperrliste genannten Angeboten durch technische Mittel mindestens auf DNS-Ebene sperren. Dieses Gesetz wurde von Anfang an von breiten Diskussionen begleitet. Nachdem es zwischenzeitlich nicht angewendet werden durfte, um das Löschen als Alternative zu testen, wurde das Gesetz im Dezember 2011 aufgehoben.[14] Hervorgehoben werden kann in diesem Zusammenhang auch das Hadopi-Gesetz (Gesetz zur Verbreitung und zum Schutz kreativer Inhalte im Internet) in Frankreich. Das Hadopi 1-Gesetz sah vor, dass bei mehrfachen Urheberrechtsverletzungen der entsprechende Internetzugang bis zu einem Jahr zu sperren sei, wobei die gesperrten NutzerInnen die Providergebühren weiter bezahlen müssen (sog. double peine). Eine neu eingerichtete Behörde konnte bei solchen Verstößen gegen das Urheberrecht Mahnungen an die Betroffenen per Mail verschicken und bei der dritten Überschreitung eine Sperre anordnen (sog. Three-Strikes-Verfahren). Demnach war eine vorherige richterliche Anordnung nicht erforderlich, was auch der ausschlaggebende Grund war, dass dieses Gesetz durch den französischen Verfassungsrat für nicht rechtmäßig erklärt wurde. Sein Nachfolger, das Hadopi 2-Gesetz, schreibt nun vor, dass für die Sperrung sowie die weiteren Strafen ein Gericht zuständig ist. Im Herbst 2012, zwei Jahre nach dem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, wurde in Frankreich die erste Geldstrafe wegen eines Verstoßes gegen das Urheberrecht verhängt.[15]

In Belgien endete im November 2011 ein Kampf gegen die Internetpiraterie mit einem Urteil des EuGH. Im konkreten Streit ging es um die Verpflichtung eines belgischen Providers, Urheberrechtsverstöße im Netz durch präventive Filtermaßnahmen sowie Sperren zu verhindern. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens war insbesondere zu prüfen, ob das auf eigene Kosten einzuführende, zeitlich unbegrenzte Filter- und Sperrsystem mit der EU-Charta der Grundrechte konform ist. Das Gericht stellte fest, dass eine solche präventive Überwachung eine aktive Beobachtung sämtlicher elektronischer Kommunikation im Netz des betreffenden Providers erfordern würde. Zudem würde jede zu übermittelnde Information sowie alle das Netz nutzende KundeInnen erfasst werden. Obwohl das Recht am geistigen Eigentum in der Charta garantiert wird, gilt dieses Recht nicht schrankenlos. Das zentrale Filter- und Sperrsystem beeinträchtigt dem EuGH[16] zufolge somit unter anderem das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und auf Informationsfreiheit.

Diktaturen hingegen nutzen solche Zugangssperren, um demokratische Bewegungen zu untergraben, wobei nicht nur einzelne Webseiten, sondern der ganze Internetzugang gesperrt werden kann. Zu einer solchen Totalabschaltung kam es beispielsweise zwischen Januar und Februar 2011 in Ägypten.[17] Diese Maßnahme wurde von der damaligen Regierung angeordnet, um die DemonstrantInnen sowohl untereinander als auch von der Außenwelt „zu trennen“, indem die sog. BGP-Routen des ägyptischen Internet ins Ausland unterbrochen wurden. Als Folge konnten die ägyptischen Domain-Name-Server nicht mehr aufgerufen werden und Ägypten war tagelang offline. Auch die libysche Regierung kappte im Februar 2011 für Stunden die Internetverbindungen des Landes, um die damaligen Massenproteste zu verhindern. In Syrien erfolgte im November 2012 eine Internetblockade, bei der sämtliche Netzverbindungen ins und aus dem Land für 48 Stunden abgeschaltet wurden.[18]

Obwohl die Sperrungen bestimmter Webseiten seitens der diktatorischen Regierungen mit dem Hinweis auf die Bekämpfung von Delikten, die auch außerhalb des Internets illegal sind, gerechtfertigt wurden, dient solche Zensur vordergründig der Verhinderung regierungskritischer Online-Informationen.[19]

Zu den schärfsten weltweit zählt die Internetzensur in China. Hier hat mittlerweile ein Viertel der Gesamtbevölkerung einen Internetzugang. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Regierung das Netz nicht nur voll unter Kontrolle zu bekommen versucht, sondern dieses auch zur Selbstpropaganda nutzen will. Die Internetzensur in China hat eine lange „Tradition“. Hier wurde bereits 1998 mit dem sogenannten Golden Shield Projekt begonnen, das sich mit der Überwachung und Inhaltszensur des Internets befasst.[20] Die „Chinesische Mauer 2.0 (Great Firewall)“[21] wird durch die dortige Regierung mit dem Gesetz über Staatsgeheimnisse sowie dem Parteienprinzip gerechtfertigt. Letzteres soll die Gefährdung der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas, wozu auch die Forderung nach Menschenrechten zählt, verhindern. Den Höhepunkt des Versuchs einer staatlichen Machtübernahme des Internets stellt die Sperrung des Zugangs zu den Google-Diensten im Oktober 2012 dar.[22]

Internetsperrungen erfolgen mittlerweile auch durch Private, und zwar entweder auf freiwilliger Basis oder aufgrund von behördlichen Hinweisen und gerichtlichen Beschlüssen. Sie werden beispielsweise wegen Copyright-Ansprüchen oder des Vorwurfs von hate speech durchgeführt. Google sperrte vor einiger Zeit in manchen Staaten – ohne richterliche Anordnung – den Film The Innocence of Muslims. Als aktuelles Beispiel für eine solche Blockierung[23] einer Webseite durch ein privates Unternehmen kann auch die Sperrung des Accounts einer verbotenen Neonazi-Gruppe für deutsche NutzerInnen durch Twitter genannt werden. Der Kurznachrichtendienst scheint damit einen Strategiewechsel durchzuführen und sperrt so bestimmte Inhalte nur in den Ländern, in denen diese illegal sind. Der Zugriff auf die betroffene Webseite bleibt ansonsten gewährt.[24]

3. Internetsperren im Lichte der EMRK

Die Konventionsrechte sind auch auf das Internet anwendbar. Dies wurde zum Beispiel in Bezug auf die Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK im Urteil Times Newspapers Ltd. gegen Großbritannien entschieden:

„The Court has consistently emphasised that Article 10 guarantees not only the right to impart information but also the right of the public to receive it (see Observer and Guardian v. the United Kingdom, 26 November 1991, § 59(b), Series A no. 216; Guerra and Others v. Italy, 19 February 1998, § 53, Reports of Judgments and Decisions 1998-I). In light of its accessibility and its capacity to store and communicate vast amounts of information, the Internet plays an important role in enhancing the public’s access to news and facilitating the dissemination of information generally. The maintenance of Internet archives is a critical aspect of this role and the Court therefore considers that such archives fall within the ambit of the protection afforded by Article 10.“[25]

Der EGMR beschäftigte sich auch bereits mit dem Einsatz von Internetsperren.[26] In dem betreffenden Fall ging es um die Verhinderung des Zugangs zu einer persönlichen Webseite. Die türkischen Behörden ließen die Seiten im Netzwerk Google.com sperren, um den Abruf einer ganz bestimmten Seite zu unterbinden. Dadurch wurde jedoch nicht nur eine einzelne, gesetzeswidrige Webseite gesperrt, sondern der Zugang zu Google-Webseiten insgesamt. Dabei handelte es sich hier um den sog. Kollateralschaden, also um eine an sich unbeabsichtigte Folge der vorgenommenen Netzsperre. Der Beschwerdeführer rügte die Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK, da er auf Grund dieser staatlichen Maßnahme auf seine persönliche Webseite, die in keinem Zusammenhang mit der betroffenen Seite stand, nicht zugreifen konnte. Der EGMR stellte eine Verletzung des Rechts aus Art. 10 EMRK fest. In seiner Begründung betonte der Gerichtshof u.a. die Bedeutung des Internets für das Recht auf Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit als eines der wichtigsten Mittel des/der Einzelnen zur Wahrnehmung dieser Konventionsrechte.

Was den Einsatz der Netzsperren in einem Rechtsstaat angeht, kann durch diese sowohl die Informationsfreiheit der RezipientInnen als auch die Meinungs- bzw. Medienfreiheit der InhaltsanbieterInnen beeinträchtigt werden. Die Access-Provider können sich demgegenüber auf die Berufsfreiheit berufen. Diese wird in der EMRK zwar nicht ausdrücklich gewährleistet, entsprechende wirtschaftsrechtliche Bezüge werden allerdings anderen Konventionsrechten zugeschrieben, wodurch neben der Eigentumsgarantie gemäß Art. 1 des 1. ZP EMRK auch die übrigen wirtschaftlichen Grundrechte durch andere Garantien miterfasst werden.[27] Je nach angewandter Sperrtechnologie steckt in der Filterung zusätzlich ein hohes Überwachungspotential, was wiederum die Rechte der InternetnutzerInnen im Hinblick auf Art. 8 (Fernmeldegeheimnis und Datenschutz) verletzen kann. In Diktaturen geht es vordergründig um die Verhinderung der Verbreitung unerwünschter regimekritischer Informationen, so dass hier insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung bereits durch den Einsatz der Sperren selbst tangiert wird. Durch die Überwachung des Internets liegt außerdem eine zusätzliche Beeinträchtigung vor, beispielsweise des Rechts auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 EMRK, sowie des Rechts auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK oder der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK. Dies ist nur eine knappe Aufzählung der möglichen Eingriffe in die – durch die EMRK geschützten – Rechte. Es muss immer im Einzelfall geprüft werden, welche Garantien im konkreten Fall tatsächlich betroffen sind.

Naheliegend und höchst interessant im Rahmen der Verwendung der Netzsperren ist auch die Diskussion hinsichtlich der Frage, ob Internetzugang an sich als eigenes Menschenrecht gewährleistet werden soll.[28] (vgl. Matthias C. Kettemann, Kapitel 2.1. Neue Menschenrechte für das Internet? und Hans Christian Voigt, Kapitel 1.2. Rechte eines jeden Menschen _am_ Internet)

4. Fazit

Dem Äußerungsweg im Internet kommt in der heutigen „On-line-Welt“ eine besondere Stellung zu. Die Möglichkeit einer grenzenlosen und kostengünstigen Vernetzung muss als große Chance für die Verwirklichung der Grund- und Menschenrechte angesehen werden. Daneben müssen jedoch auch rechtswidrige Inhalte im Netz verhindert werden. Aufgrund der Tatsache, dass Internetsperren – und sei es auch zum legitimen Zweck – immer mehr zum Einsatz kommen, müssen diese als ultima ratio betrachtet werden. Deren Verwendung setzt also voraus, dass eine Löschung der illegalen Seite oder eine andere Vorgehensweise[29] nicht möglich ist. Um eventuelle Kollateralschäden durch das Over-Blocking zu vermeiden, sollten die entsprechenden Sperrtechnologien weiter erforscht werden. Dabei muss allerdings neben der zielgenaueren Sperrung auch das damit verbundene Überwachungspotential möglichst niedrig gehalten werden. Die Transparenz des staatlichen wie des privaten Einsatzes solcher Zugangssperren muss gewährleistet werden, da der Missbrauch von Sperren evident ist und die Gefahr einer übermäßigen Kontrolle oder gar eines Versuchs einer Internetreglementierung besteht – nicht nur in Diktaturen. Unumgänglich ist ebenfalls eine diesbezügliche genaue gesetzliche Vorgabe, insbesondere im Hinblick darauf, dass Internetsperren nicht durch eine staatliche Behörde erfolgen können, sondern Access-Provider als entsprechende Werkzeuge benutzt werden. Auch die Selbstzensur der Privaten sollte nicht unterschätzt werden. Trotz der ursprünglichen Ideale zahlreicher Plattformen oder Suchmaschinen absolute Meinungsfreiheit und völlige Transparenz herstellen zu wollen, ist ein Voranschreiten kommerzieller Interessen zu beobachten. Menschen haben durch das Internet fast unbegrenzte Möglichkeiten, sich aus verschiedensten Quellen zu unterrichten, eigene Kommentare abzugeben, oder sich zu einer Versammlung zu verabreden. Dadurch ist es jedoch für staatliche Behörden auch viel einfacher geworden, BürgerInnen zu überwachen, zu verfolgen und durch die vorgenommene Filterung der Internetinhalte eigene „Empfehlungen“ vorzuschreiben.[30] (vgl. Julian Ausserhofer, Kapitel 1.6. Gute Filter, böse Filter)


[1] Europäische Menschenrechtskonvention

[3] Vgl. Sieber / Nolde, Sperrverfügungen im Internet, 2008, S. 2 f. und S. 228.

[4] Die Zugangs-Provider sollen damit „zum Büttel des Staats für dessen Absichten der Inhaltsregulierung“ werden. Vgl. Christoph Engel, Die Internet-Service-Provider als Geiseln deutscher Ordnungsbehörden, Eine Kritik an den Verfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf, in: MMR-Beilage 4/2003, S. 1 (17).

[5] Zu den verschiedenen Sperrtechniken siehe: Sieber/ Nolde, Sperrverfügungen im Internet, 2008, S. 49 ff.; Koreng, Zensur im Internet, Der Verfassungsrechtliche Schutz der digitalen Massenkommunikation, 2010, S. 134 ff.

[6] So hat z.B. das Landgericht Hamburg einen Antrag auf einstweilige Anordnung zur Sperrung einer Webseite zurückgewiesen, da es dem Gericht selbst gelang, innerhalb einer kurzen Zeit eine DNS-Sperre zu umgehen und den gewünschten Server zu finden. Vgl. LG Hamburg, BeckRS 2009, 9535.

[7] Als ein Beispiel für die leichte Umgehung und somit die Ungeeignetheit der Netzsperren kann das Vorgehen des Torrent-Verzeichnisses The Pirate Bay genannt werden. Wegen des Verstoßes gegen das Urheberrecht wurde diese Suchmaschine per gerichtliche Anordnung z.B. in Belgien, Finnland und letztlich in Großbritannien gesperrt. Dies hinderte die Betreiber nicht daran, neue IP-Adressen einzurichten, so dass die Seite wieder abrufbar war. Im Übrigen zog nun The Pirate Bay – wohl um der behördlichen Verfolgung zu entgehen – in eine Cloud um.

[13] Vgl. https://www.golem.de/1104/83095.html (Letzter Aufruf: 30.5.2013)

[14] Vgl. z.B. Höhne / Dienst, Das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen in: jurisPR-ITR 13/2009 Anm. 6, Ziff. D.

[16] Urteil vom 24.11.2011, Az. C-70/10.

[19] Nach einem Bericht der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ gehören zu den sogenannten „Feinden des Internets 2012“ folgende Länder: Bahrein, Belarus, Birma, China, Kuba, Iran, Nordkorea, Saudi Arabien, Syrien, Turkmenistan, Usbekistan und Vietnam. Hier kommt es nicht nur zu einer ständigen Internetüberwachung und -zensur, sondern werden auch unliebsame Blogger systematisch verfolgt, wobei Iran und China ihre Internetüberwachungsmaßnahmen im Vergleich zum Vorjahr verstärkt haben sollen. Vgl. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/presse/pressemitteilungen/meldung-im-detail/artikel/rog-bericht-feinde-des-internets-2012/ (Letzter Aufruf: 30.5.2013)

[20] Vgl. Clayton / Murdoch / Watson, Ignoring the Great Firewall of China: https://www.cl.cam.ac.uk/~rnc1/ignoring.pdf (Letzter Aufruf: 30.5.2013)

[23] Twitter wurde von der Polizeidirektion Hannover aufgefordert, das Twitterkonto der verbotenen Neonazi-Gruppe „umgehend und ersatzlos zu schließen“. Solche landesspezifischen Sperren sind bei Twitter neu, bis jetzt betrafen durchgeführte Sperrungen die gesamte Plattform. Vgl. https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/laendersperre-twitter-unterdrueckt-neonazis-in-deutschland-a-861982.html und netzpolitik.org/2012/dieser-tweet-ist-in-deinem-land-nicht-verfugbar-twitter-fuhrt-offenbar-landerspezifische-zensur-ein/ (Letzter Aufruf: 30.5.2013)

[24] Auf der Seite https://www.chillingeffects.org können die betroffenen Tweets und Accounts sowie die Gründe für die Sperrung nachgelesen werden. Auch Google veröffentlicht auf: https://www.google.com/transparencyreport/ einen entsprechenden Bericht. Aus diesem ergibt sich u.a., dass Deutschland weltweit an der Spitze der Löschanträge steht. (Letzter Aufruf: 30.5.2013)

[25] EGMR 10.3.2009, Nr. 3002/03, 23676/03, Ziff. 27.

[26] EGMR 18.12.2012, Yildirim gegen Türkei, Nr. 3111/10.

[27] Vgl. Grabenwarter / Pabel, EMRK, 5. Auflage, 2012, S. 516, Rz. 27.

[29] In Dänemark soll neuerdings ein Sperrgesetz aufgrund der mangelnden Wirkung von Netzsperrung außer Kraft gesetzt werden. Im Kampf gegen ein bestimmtes illegales Angebot im Internet soll nun verstärkt internationale Kooperation genutzt werden. Vgl. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Daenisches-Parlament-rueckt-von-Websperren-ab-1758768.html (Letzter Aufruf: 30.5.2013)

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