4.3. Zu viel im Netz? (Judith Schoßböck)

Digital inclusion als netzpolitisches Konzept

1. „Wired by nature“
2. Gefahren im Netz und Regeln für junge Menschen
3. Neue Nutzungsarten, neue Risiken
4. Exzessive vs. sichere Online-Nutzung
5. „Digital inclusion“ als netzpolitisches Konzept

1. „Wired by nature“

Verbringt die junge Generation zu viel Zeit im Netz? Sicher ist: Die Integration technischer Geräte in unsere unmittelbare Lebenswelt (augmented reality), die Vermischung von bisher getrennten Online-Kommunikationsräumen und die zunehmende Mobilisierung über Smartphones tragen dazu bei, dass wir häufiger erreichbar sind. Mediennutzungskompetenz ist das Schlagwort, wenn es um die sinnvolle Nutzung von Online-Welten geht, sodass andere Lebensbereiche davon keinen Nachteil erhalten. Wenn diese anderen Bereiche aber zunehmend digitalisiert sind, inwiefern gilt dann noch das Prinzip „Weniger ist mehr“? Wann macht es Sinn, sich selbst zu beschränken – und noch schwieriger – bis zu welchem Ausmaß ist die Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen als gesund anzusehen?

William Powers schlägt 2010 in seinem Buch „Hamlet’s Blackberry“ ein Internet-freies Wochenende als Lösungsansatz und Reaktion auf den Druck, ständig erreichbar zu sein, vor[1]. Seine Ausführungen sind insofern interessant, als sie mediengeschichtlich belegen, wie neue Medien immer zuerst mit Befürchtungen behaftet sind, bevor sie schließlich in unseren Lebensalltag integriert werden. So folgt die Bewertung von Medien historisch einem bestimmten Muster, an dessen Beginn zumeist Angst und Ablehnung zu finden sind, was mit zunehmender Verbreitung schließlich in Akzeptanz übergeht.

Doch mobile Geräte und vernetzte Kommunikation können auch zu einer Last werden, die es erschweren kann, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Für den Drang, ständig unsere digitalen Bildschirme zu kontrollieren, macht Powers unsere evolutionäre Programmierung mitverantwortlich. Wir sind also „wired by nature“ – und schenken neuen Stimuli Aufmerksamkeit, um schnell auf potentielle Gefahren oder Vorteile reagieren zu können. Dieser biochemische Effekt würde in unserem Gehirn einen Dopaminschub auslösen, gleichzeitig liefen wir durch diesen „alert modus“ aber Gefahr, zu verlernen, uns langfristig auf andere Dinge als diese Stimuli zu konzentrieren – unsere Familie, Gedanken, Bücher etc.

Powers stellt die Frage, wie eine Mediennutzungskompetenz aussehen könnte, die dazu befähigt, mit dieser ständigen Erreichbarkeit umzugehen. Zeitliche Beschränkungen sind nur eine Möglichkeit, der eigenen, exzessiven Nutzung Einhalt zu gebieten.

Aber ist eine exzessive Nutzung immer automatisch schlecht? Könnte der Begriff auch positiv interpretiert werden? Oder stehen häufige und lange Online-Zeiten eines Kindes tendenziell mit einem problematischen Nutzungsverhalten in Zusammenhang?

Dieser Beitrag versucht auf Basis der Forschung zum Thema Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen zwischen exzessiver und problematischer Internetnutzung abzugrenzen bzw. exzessive Nutzung als weniger problematisches Konzept zu denken. Auf Basis ausgewählter Ergebnisse von Studien zur Internetnutzung und zu Online-Risiken werden für Österreich gültige Spezifika vorgestellt und deren Relevanz für das Bildungswesen reflektiert.

Vor der zunehmenden Verfügbarkeit des Internets waren vor allem zeitliche Beschränkungen der Mediennutzung verbreitet. Erziehungsberechtigte legten zum Beispiel eine maximale Dauer, die junge Menschen vor dem Fernsehgerät verbringen durften, fest – eine Kontrollmöglichkeit war klar gegeben. Mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones auch für junge KonsumentInnen und der permanent vorhandenen Möglichkeit „online zu gehen“, ändern sich jedoch die Spielregeln.

2. Gefahren im Netz und Regeln für junge Menschen

Die JIKS-Studie in Kooperation der Donau-Universität Krems, des ICT&S-Centers der Universität Salzburg und des Demokratiezentrums Wien zum Thema Internetkompetenz von 14-jährigen SchülerInnen in Österreich[2] hat gezeigt, dass österreichische Jugendliche im europäischen Vergleich mit weniger Regelungen in Bezug auf ihre Internet-Nutzung konfrontiert sind, als beispielsweise Jugendliche in nordeuropäischen Länder. Die Studie zeigte, dass es nur bei 34,8% überhaupt Regeln gibt (am häufigsten bezüglich der Zeit), während 62,2% explizit angeben, dass es zu Hause keine Internetregeln gibt, wobei sich hier ein Geschlechtsunterschied (p=.038) dahingehend zeigte, dass es bei Mädchen häufiger keine Regeln gibt und bei Burschen überproportional viele inhaltsbezogene Regelungen.

Die große Mehrheit der SchülerInnen (90,5%) wurden über gefährliche Inhalte im Internet informiert (Stand 2010). Dennoch kommt der Risk and Safety Report der EUKidsOnline-Studie der School of Economics and Political Science (LSE) zu dem Schluss, dass junge ÖsterreicherInnen die Risiken im Netz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mehr unterschätzen: „It appears that Austrian children tend to underestimate risks on the internet more than children from other European countries.“[3] Zudem geben im europäischen Durchschnitt mehr Kinder an, online oder offline mit „bullying“ konfrontiert zu sein.

Im Vergleich zum europäischen Durchschnitt lässt sich festhalten, dass Österreichs Eltern häufiger die Wahrscheinlichkeit unterschätzen, dass ihr Kind pornografischen Inhalten online ausgesetzt war. Im EU-Vergleich glauben 56% der Eltern, deren Kinder verletzende oder hässliche Nachrichten bekommen haben, dass dem nicht der Fall war[4]. Die geringe Besorgnis der ÖsterreicherInnen steht auch in Zusammenhang mit einem Vertrauen in den Nachwuchs: 66% der österreichischen Eltern nehmen an, ihr Kind wisse, was in problematischen Situationen zu tun ist[5].

Positiv schneidet Österreich hinsichtlich der Frage ab, inwieweit sich Kinder durch die Online-Risiken belästigt oder gestört fühlen – trotz des relativ hohen Risikos, dem österreichische Kinder im Vergleich ausgesetzt sind, fühlen sich diese wenig davon gestört. Dies deutet drauf hin, dass Risiken nicht unbedingt zu negativen Erfahrungen führen müssen. Dennoch gilt es zu berücksichtigen, dass österreichische Eltern die Risiken, denen ihre Kinder im Netz ausgesetzt sein könnten, tendenziell unterschätzen. Zudem zählt Österreich bei mittlerer Nutzungshäufigkeit des Internets laut „EU Kids Online“ zu den Ländern mit immerhin mittlerem Online-Risiko. Im Nachfolgeprojekt „EU Kids Online II“ steht der Bereich dieser Online-Risiken im Mittelpunkt einer europaweiten Befragung junger NutzerInnen.

In Ländern, in denen die Eltern weniger über die Risiko-Erfahrungen ihrer Kinder Bescheid wissen (neben Österreich sind das noch Länder wie Rumänien, Estland oder Litauen), sollten sich nationale Empfehlungen daher auch auf Bewusstseinsbildung und Kommunikation zwischen Eltern und Kindern konzentrieren. Spezifische Länder erfordern spezifische Empfehlungen für das Bildungswesen und dementsprechend angepasste Schulprogramme. Da es sich beim Thema Medienkompetenz aber um ein besonders schnelllebiges Gebiet handelt, hinkt die Umsetzung oft hinter derartigen Empfehlungen her.

Bis zum Alter von 10 Jahren steigt das Setzen von Regeln für Kinder und Jugendliche europaweit an, ab dann werden Limits und Regulationen weniger[6]. Wie in den meisten europäischen Ländern wurden in der Vergangenheit auch in Österreich mehr Regeln in Bezug auf das Fernsehen als auf das Internet aufgestellt (43% Fernsehen vs. 35% Internet). In Schweden, Dänemark und den Niederlanden war dies 2009 jedoch umgekehrt. In Schweden stehen 33% Regeln beim Fernsehen 58% Regeln bei der Internetnutzung gegenüber. Bis zum Alter von 12 bis 14 ist auch EU-weit das Fernsehen das am meisten regulierte Medium. Ab 12 bis 13 Jahren werden aber im EU-Durchschnitt mehr Regeln für das Internet als für das Fernsehen aufgestellt.

3. Neue Nutzungsarten, neue Risiken

Der hohe Grad an mobilem Internet-Zugang in einigen EU-Ländern führt zu neuen Herausforderungen hinsichtlich der empfohlenen Nutzungsintensität für Jugendliche und entsprechenden Schutzbestrebungen. Gerade in Ländern wie Norwegen, Großbritannien oder Deutschland ist der Zugang über Smartphones besonders verbreitet, während in Griechenland, Bulgarien, Zypern und Österreich der Zugang über gewöhnliche Mobiltelefone besonders hoch ist[7]. Andererseits: Im Vergleich zum europäischen Durchschnitt (34%) nutzt in Österreich eine relativ hohe Anzahl an Kindern (53%) das Internet mobil (entweder über Handies oder über „handheld devices“ wie Smartphones).

Auch das Alter, mit dem Österreichs junge Generation ins Netz einsteigt, ist mit zehn Jahren vergleichsweise über dem europäischen Durchschnitt. Der Report von EU Kids Online betont, dass in Zukunft besonders die Tatsache im Mittelpunkt stehen sollte, dass eine steigende Anzahl von Kindern das Internet unabhängig von der Aufsicht Erwachsener nutzt, insbesondere eben über mobilen Zugang[8]. 87% der Kinder nutzen demnach das Netz zu Hause, 49% in ihrem Zimmer und 38% irgendwo anders zu Hause. Interessant ist zudem, dass mehr junge ÖsterreicherInnen als der EU-Durchschnitt einen social media-Zugang besitzen.

Eines ist evident: In Zukunft kann es – nicht nur mangels umfassender Kontrollmöglichkeiten – nicht mehr ausschließlich darum gehen, die Menge der im Internet verbrachten Zeit zu begrenzen bzw. dies als Maßstab für einen gesunden Umgang mit dem Medium anzunehmen. Die im Internet verbrachte Zeit ist von vielen Faktoren abhängig, und die Forschung hat bestätigt, dass gesteigerte Internet-Nutzung sowohl Risiken als auch Chancen bergen kann. Die Entwicklung von Online-Medienkompetenz wird also umso wichtiger.

Österreich zählt hier im europäischen Vergleich eher zu jenen Ländern, die zwar eine vergleichsweise weniger intensive Nutzung, aber auch weniger Risiko aufweisen – das Gegenteil zu jenen Ländern, die durch die intensivere Nutzung neuer Kommunikationsformen auch mit mehr neuartigen Risiken konfrontiert sind. In der Folge soll ein Blick auf jenen Teil des Reports geworfen werden, der sich mit der besonders starken, exzessiven Nutzungsdauer des Internets von Kindern beschäftigt. Er kommt zu dem Schluss, dass unter den 25 untersuchten Ländern 29% der Kinder eine von fünf Komponenten, die man mit exzessivem Internet-Konsum in Verbindung bringen kann (s.u.), erfahren haben.

4. Exzessive vs. sichere Online-Nutzung

Besonders lange oder exzessive Nutzungsdauer ist nicht unbedingt ein Zeichen für eine problematische Nutzung. In der Forschung wird der Begriff der exzessiven Nutzung oft zur Beschreibung eines Musters gewählt, das sich auf wiederholte, und manchmal auch zwangshafte und unkontrollierte Verwendung bezieht. Das muss jedoch nicht unbedingt so sein. Die Ergebnisse des dritten Reports zeigen, dass Zeit auch kontra-indikativ für eine problematische Nutzung sein kann. Jene Kinder, die am anfälligsten für negative Konsequenzen einer exzessiven Nutzung sind, scheinen jene zu sein, die älter sind, emotionale Probleme haben oder einen hohen Grad an Sensationsgier besitzen[9]. Nach Mark Griffith, der sich die Frage gestellt hat, ob Internet- und Computersucht überhaupt existiert, ist ebenso nicht Zeit der kritische Faktor – das „Wie“ der Internet-Nutzung muss im Vordergrund stehen. Er schlägt ein Modell mit sechs Levels vor. Damit man von Abhängigkeit bzw. Sucht sprechen kann, müssen alle Komponenten dieser Levels präsent sein[10].

Die sechs Levels sind:

  • Salienz (ein Begriff aus der Psychologie, der besagt, dass ein Reiz aus seinem Kontext hervorgehoben und daher dem Bewusstsein leichter zugänglich ist[11], also in welchem Ausmaß Gedanken an das Internet das Leben einer Person bestimmen),
  • Stimmungseinfluss (inwieweit subjektive Erfahrungen durch die Aktivität bestimmt werden),
  • Toleranzsymptome (ähnlich wie bei Suchtsymptomen braucht ein Individuum dann mehr Zeit im Internet, um dieselben Effekte hervorzurufen),
  • Entzugserscheinungen (negative Gefühle und Emotionen, die mit dem Ende des Online-Seins einhergehen),
  • interpersonelle Konflikte (bezogen auf enge soziale Beziehungen) oder
  • intrapersonelle Konflikte (bezogen auf die eigenen Gefühle des Individuums) sowie
  • Rückfälle (ein Individuum versucht, die Online-Präsenz zu beschränken und scheitert).

Bei diesem Konzept stehen die negativen Konsequenzen der Nutzung und die Gefühle des Individuums statt der Nutzungsdauer im Vordergrund. Sehr wenige Kinder der Studie (1%) konnten sich mit allen Komponenten des Modells identifizieren[12]. Kinder, die alle fünf Komponenten erfahren haben, gaben außerdem an, mit einer Reihe von psychologischen bzw. emotionalen Herausforderungen konfrontiert zu sein, die sich auf ihr online-, aber auch offline-Verhalten auswirken. Die Studie EU Kinds empfiehlt daher, das gesamte Verhalten des Kindes im Off- und Online-Spektrum für Auffälligkeiten heranzuziehen. Das Online-Verhalten müsse also mit dem breiteren sozialen und psychologischen Kontext und dem generellen Nutzungsverhalten des Kindes in Beziehung gesetzt werden.

5. „Digital inclusion“ als netzpolitisches Konzept

Das Konzept der „digital inclusion“ (digitale Inklusion) bietet die Möglichkeit, lange Internet-Zeiten auch produktiv zu betrachten. Es birgt dabei die Gefahr, exzessiven Internet-Konsum zu beschönigen. Als Ausgangspunkt dient das Argument, dass exzessive Nutzung des Internets auch positiv betrachtet werden kann. ForscherInnen möchten dabei aufzeigen, dass jene Menschen, welche über gute Offline-Ressourcen und soziale Vorteile verfügen, auch die nötigen Fähigkeiten aufweisen, Technologien häufiger, breiter und kompetenter zu nutzen[13]. Das bedeutet, dass Kinder aus einem Haushalt mit höherem Bildungsgrad tendenziell auch besseren Zugang zu neuen Technologien haben, tendenziell über höhere Medienkompetenzen verfügen und daher das Internet auch meist intensiver nutzen. Gleichzeitig könnten diese Kinder aber durch den höheren Nutzungsgrad und trotz ihrer sozio-ökonomischen Vorteilspalette mit mehr Risiken konfrontiert sein. Daher sollten Maßnahmen zur Prävention hier bereits sehr früh und offline ansetzen – im sozialen und psychologischen Bereich. Klar ist: Zeitliche Beschränkungen sind hier kontraproduktiv, da sie nicht die Ursache des Problems bekämpfen und zudem auch die mit einer kompetenten Mediennutzung verbundenen Vorteile minimieren können. Dass Österreichs Eltern aber weniger zeitliche Beschränkungen vorgeben als die Eltern in anderen Ländern, bedeutet in diesem Fall aber noch nicht eine Einsicht in diese Problematik[14] – vielmehr kann es sich um einen ersten Reflex auf Basis von Überforderung bzw. Unsicherheit im Umgang mit der Thematik handeln.

Mit der Allgegenwart des Netzes sollten pädagogische Strukturen und Prinzipien jedenfalls angepasst werden. Strategien für Online-Aktivitäten und digitale Kompetenzen müssen eine stärkere Rolle in der Schulbildung spielen. Dazu gehören beispielsweise Bewertungskompetenzen in Bezug auf Online-Inhalte, Suchstrategien oder Sicherheits-Strategien vom Schutz der persönlichen Daten bis hin zur Cybermobbing-Thematik. Livingstone et al. (2011) empfehlen in dieser Hinsicht, Strategien bereits im jungen Alter (11 bis 12 Jahre) zu vermitteln. Bezüglich Sicherheitsstrategien gaben die meisten der 11 bis 16-Jährigen an, dass sie Nachrichten von unwillkommenen Kontakten blocken (64%) oder Sicherheitsempfehlungen online finden können (64%). Etwas mehr als die Hälfte kann Privatsphäre-Einstellungen ändern (56%), die Qualität einer Website mit anderen vergleichen (56%) oder Spam blockieren (51%). Hier zeigt sich deutliches Potential für die Vermittlung von Strategien für Internet-Sicherheit, möglicherweise bereits im Vorschulalter, vor allem, weil in der Altersgruppe der Jüngeren (11 bis 12 Jahre) weniger als die Hälfte angaben, dass sie die grundsätzlichen Fähigkeiten in Bezug auf Online-Sicherheit besitzen würden. Netzpolitik kann daher bereits ab der ersten Schulstufe ein Themenschwerpunkt sein.

Aber auch pädagogische Initiativen und Veranstaltungen für Eltern können einen großen Beitrag leisten. Es geht nicht darum, die Kontrolle kindlicher Aktivitäten auszubauen – vielmehr sollte die realistische Einschätzung der im Internet vorhandenen Gefahren Schwerpunkt sein, da die Forschungsergebnisse zeigen, dass Eltern diese häufig unterschätzen. Kinder empfinden Hilfe und Mediation von Eltern mehrheitlich als sehr positiv – 70% der befragten Kinder der EU Kids Online-Studie gaben an, dass dies sehr helfe (9 bis 12-Jährige bewerten dies noch positiver[15]).

Trotz und aufgrund der notwendigen Neudefinition einer problematischen Internetnutzung und deren Faktoren und Ursachen mag es sein, dass Eltern und Kinder eine unterschiedliche Auffassung darüber haben, was denn nun zu viel ist. Auch dürften sich die Ansichten von Erziehungsberechtigten in dieser Hinsicht unterscheiden, und Kinder sind gemeinhin sensibel, wenn es um Vergleiche zwischen verschiedenen Familien geht. Empfehlenswert ist diesbezüglich, sich in der Diskussion und im Verhandeln von Grenzen nicht auf zeitliche Vorgaben, sondern auf den Erfolg bzw. die Resultate der Nutzung zu konzentrieren. Wenn sich negative Konsequenzen zeigen, insbesondere wenn die Internetnutzung stark mit anderen Aspekten des Lebens in Konflikt steht, sind Eltern und PädagogInnen gefragt, die dahinter liegenden Gründe (sowohl on- als auch offline) der Situation aufzudecken und gegebenenfalls Hilfe heranzuziehen.

Es besteht, obwohl der Thematik Online-Nutzung ein hoher Stellenwert in der Öffentlichkeit zugeschrieben wird, nach wie vor ein Defizit an spezifischer Forschung. Obwohl in Österreich Ende 2009 insgesamt 28 Studien mit Daten zur Online-Nutzung österreichischer Kinder und Jugendlicher identifiziert werden konnten, gibt es immer noch vergleichsweise wenig spezifischere Daten. Einen positiven Schwerpunkt bietet die EU-Initiative Saferinternet.at, die bei der sicheren Nutzung von Internet, Handy & Co. durch die Förderung von Medienkompetenz unterstützt. Bereits identifizierte Defizite, zum Beispiel der Mangel an Langzeitstudien, die Vernachlässigung von Alltagskontexten, der eingeschränkte Zugang zu Ergebnissen (Stichwort open access) und das Forschungsdefizit zu Risiken, insbesondere hinsichtlich jener Probleme, die sich nicht nur auf gefährliche Inhalte beziehen (wie beispielsweise Datenmissbrauch, kommerzielle Fallen oder Cybermobbing[16]), sollten jedoch weiter ausgeglichen werden.


[1] vgl. Powers, William (2010): Hamlet’s BlackBerry: A Practical Philosophy for Building a Good Life in the Digital Age. Harper Collins: New York.

[2] vgl. Parycek, Peter, Maier-Rabler, Ursula und Diendorfer, Gertraud (Hg.) (2010): Internetkompetenz von SchülerInnen. Themeninteressen, Aktivitätsstufen und Rechercheverhalten in der 8. Schulstufe in Österreich. Studienbericht. Wien/Salzburg/Krems.

[3] S. Livingstone, Sonia and Haddon, Leslie and Görzig, Anke and Ólafsson, Kjartan (2011) Risks and safety on the internet: the perspective of European children: full findings and policy implications from the EU Kids Online survey of 9–16 year olds and their parents in 25 countries. EU Kids Online, Deliverable D4. EU Kids Online Network, London, UK. https://eprints.lse.ac.uk/33731/ (Letzter Aufruf: 28.01.2011).

[4] vgl. Livingstone et al. (2011)

[5] Hasebrink, Uwe; Livingstone, Sonia; Haddon, Leslie & Ólafsson, Kjartan (2009): Comparing children’s online. opportunities and risks across Europe: Cross-national comparisons for EU Kids Online. Second edition. LSE, London: EU Kids Online, S. 33. https://www2.lse.ac.uk/newsletters/EUKidsOnline/EUKidsOnlineAlert7.htm (Letzter Aufruf: 30.10.2012).

[6] vgl. Hasebrink et al (2009), S. 38.

[7] vgl. Livingstone et al. (2011)

[8] vgl. Livingstone et al. (2011)

[9] vgl. Smahel, David, Ellen Helsper, Lelia Green, Veronika Kalmus, Lukas Blinka and Kjartan Ólafsson (2012): Excessive Internet Use among European Children. https://www2.lse.ac.uk/media@lse/research/EUKidsOnline/EU%20Kids%20III/Reports/ExcessiveUse.pdf (Letzter Aufruf: 28.01.2013).

[10] vgl. Griffiths, Mark (2000): Does internet and computer „addiction“ exist? Some case study evidence. CyberPsychology and Behavior vol. 3, no 2, S. 211–218.

[11] vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Salienz (Letzter Aufruf: 28.01.2013)

[12] Die europaweite Studie zieht nur 5 der 6 Levels in Betracht.

[13] vgl. Helsper, E. J. (2012). A corresponding fields model of the links between social and digital exclusion, Communication Theory, vol 22, no 4.

[14] vgl. Parycek et al. (2010)

[15] Livingstone et al. (2011)

[16] vgl. Paus-Hasebrink, Ingri und Rathmoser, Manfred (2007): Kinder, Jugendliche und Internet: Ein europäisches Forschungsprojekt gibt Aufschluss. In: MEDIENIMPULSE 60, S. 12–16. / vgl. Paus-Hasebrink, Ingrid & Ortner, Christina (2008): Online-Risiken und Chancen für Kinder und Jugendliche: Österreich im europäischen Vergleich. Bericht zum österreichischen EU Kids Online-Projekt. https://www.bka.gv.at/Docs/2008/11/6/kids_online.pdf und https://www.bmukk.gv.at/medienpool/17370/eukidsonlineabschlussbericht.pdf (Letzter Aufruf: 28.01.2013).

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